Sonntag, 25. Januar 2009

Der spanische Zerrspiegel: Von Spionen, Photomodellen, dem Minister Glühbirne und der obamaischen Sozialdemokratie


In der Folge des Amerikanisch-Spanischen Krieges, der Spanien der letzten Überseekolonien beraubte, fiel das Land in eine Depression ungekannten Ausmaßes, die auch als Desaster von 1898 bekannt ist. Die in dieser Zeit entstandene Literatur, sozusagen die erste moderne Literatur Spaniens, war Ausdruck des desolaten Gemütszustandes der Spanier, der politischen Unvernunft und Unfähigkeit der Regierenden der Armut und der Schwierigkeit, den Verlust der ruhmreichen Armada und des Kolonialreiches (oder dessen, was noch davon übrig war) zu verdauen und aufzuarbeiten.

Einer der herausragendsten Schriftsteller jener Zeit war Ramón María del Valle-Inclán, der den Begriff des spanischen Zerrspiegels (Esperpento español) schuf, denn vor allem das politische und soziale Verhalten der spanischen Gesellschaft glich mehr dem Bild eines Zerrspiegels als dem, was Vernunft und Gemeinsinn erwarten ließen, und so ist der Zerrspiegel zum Ausdruck der spanischen Wesensart an sich geworden.

Die jüngste Geschichte der sozialistischen Zapatero-Regierung bestätigt das, was schon Valle-Inclán um 1898 beschrieben hatte. Die Politik der Regierung ist so abgewandt von der Wirklichkeit und so bizarr, daß das Gesamtbild der spanischen Realität eher dem Bild eines Zerrspiegels gleicht. In Spanien ist also das, was in einem Zerrspiegel zu sehen ist, die eigentliche Wirklichkeit.

So wie man seinerzeit, vor und während des Amerikanisch-Spanischen Krieges um 1898 statt geeigneter Maßnahmen wie der Modernisierung der Streitkräfte eher dazu neigte, Solidaritäts-Stierkämpfe für die Kolonien zu veranstalten (das Solidaritätsgeplänkel der Spanier ist besonders in linken Kreisen sehr ausgeprägt, führt aber zu nichts Nützlichem), so ist man heute seitens der Regierung stets bemüht, die Schuld an der Wirtschaftkrise auf Dritte abzuwälzen, während die Opposition nur damit beschäftigt ist, sich selbst und untereinander zu zerfleischen, obwohl sie doch jetzt die besten Gelegenheiten hätte, die Regierung klitzeklein zu kritsieren und bei den Wählern Punkte zu gewinnen.

Zur Veranschaulichung des oben Gesagten kommentiere ich hier kurz die zerrspiegelhaftesten Ereignisse der letzten zehn Tage:

Als erste sprang das Mädchen des Exorzisten aus dem Kästchen, Soraya Sáenz de Santamaría, die fürchterlichste aller Fraktionssprecherinnen, die die spanische Volkspartei (Partido Popular - PP) je gehabt hat. Nachdem die Partei anscheinend die seinerzeit berechtigte Kritik an den Quotenministerinnen des ersten Zapatero-Kabinetts im Jahre 2004 vergessen hat, die damals für die Zeitschrift Vogue -zusammen mit der Regierungssprecherin Madame Plissé posiert hatten-, posierte sie jetzt in einem genauso schrecklichen Kleid wie sie selbst, um wieder einmal (unangenehm) aufzufallen, mit ihrem Monika-Lewinski-Gesicht und ihren Belzebub-Beenen. Und dazu kam noch der Partei- und Oppositionsführer ohne Führungseigenschaften Rajoy, um zu alledem loszulassen, man hätte doch damals die Vizevogue (Teresa Fernández de la Vega, Regierungssprecherin) nicht krisieren sollen. Nun gut, die kafkaeske Verwandlung hat halt so ihre Folgen.

Die zweite zerrspiegelhafte Sache der Woche ist die Spionage des Lagers der Aguirristianer von Esperanza Aguirre (Ministerpräsidentin des Landes Madrid) gegen die Gallardoniter (die Mitglieder der Stadtverwaltung Madrids unter dem Oberbürgermeister Alberto Gallardón). Ich weiß nicht, ob ich das als Scherz, als Versuch der Gallardoniter, Frau Esperanza mit einem Manzanaresgate zu stürzen, oder als ein Manöver der Pepinischen Zapateristen (Zapateristen = Anhänger Zapateros; Pepiño Blanco ist der Sprecher der Sozialistischen Partei, daher "pepinisch") ansehen soll, um unter den zwei wichtigsten Machtinhabern der Volkspartei (in Stadt und Land Madrid hatte die PP in den letzten Wahlen nahezu 60% der Stimmen erhalten) Zwietracht zu säen, denn die ganze Geschichte erscheint mehr als unglaubwürdig. Warum sollte die Landes-PP den stellvertretenden Bürgermeister Cobo von der Stadt-PP bespitzeln, um bestimmte Bewegungen von diesem zu kennen? Das habe mit der Sparkasse Madrid zu tun? Es erscheint dabei ganz klar zu sein, daß Ministerpräsidentin Aguirre ein sehr störender Dorn im Auge Albertito Gallardons ist (und ein spitzer Stein im Schuh der Madrider Sozialisten, die auf ehrenhafte Weise keine Aussicht haben, die Macht in Stadt und Land Madrid in den nachsten zehn Jahren auch nur aus der Nähe betrachten zu können), und daher hat mehr als einer Interesse daran, beide Volksparteiler in Verruf zu bringen.



Aber das Zerrspiegelbild par excellence hat und -wie sollte es auch anders sein- die Regierung Zapateros geliefert. Genauer gesagt sind es zwei Zerrspiegelbilder: eines konvex und das andere konkav. Nicht genug damit, daß der Premierminister von dem, was er selbst als Regierung von Spanien zu bezeichnen wagt, zu einem ungebremsten Konsum und zum Energiesparen aufruft, um die spanische Wirtschaft zu retten und die Zahlungsbilanz auszugleichen, springt jetzt unser Minister Glühbirne (mein Name ist Wiebitte, Miguel Wiebitte) aus dem Kästchen, um -im reinsten Stil des Franquismus' der 1940er Jahre, als man notgedrungen durch die internationale Isolierung Spaniens für die Autharkie eintrat, dazu aufzurufen, nur noch spanische Erzeugnisse zu kaufen, um so die Wirtschaftslage in Spanien zu verbessern. Ein Licht, das einem da aufgegangen ist, wenn es auch nur das der Bohème ist, das dazu noch energiesparend ist. Dem Minister Glühbirne ist dabei nur entgangen, daß, wenn die anderen europäischen Länder in der gleichen Richtung dächten, wir die spanischen Erzeugnisse wohl in Europa kaum noch an den Mann bringen werden. Und was dann? - Aber nicht genug damit. Es wäre nicht schlecht, wenn die spanische Regierung als Vorbild wirken würde und zum Beispiel die Unfiformen für das Militär und die Polizei nicht mehr in China und die Dienstwagen nicht mehr in Deutschland kaufte. Gibt es denn überhaupt noch wichtige Industrieunternehmen, die sich in spanischen Händen befindet? Ich weiß nicht, welches Licht Miguel Wiebitte aufgegangen ist, aber bestimmt nicht das von oben.

Das gibt uns eine Vorstellung von dem, was sich hinter dem großartigen Plan E versteckt, den kürzlich unser Großer Führer Alicius im Wunderland vorgestellt hat, mit E wie Esperpento. Die einfallsreichste Mitgliedin der spanischen Exekutive, Bibí se ha Ido [Bibi ist gegangen, Erkl. siehe unten], hat in ihrem Superblog mit dem Titel Amanece en Cádiz (In Cádiz geht die Sonne auf - der Titel ist sicherlich darauf zurückzuführen, daß in Cádiz die Volkspartei regiert, denn andernfalls würde dort das Licht nicht einmal mehr mit den quecksilbergefülllten umweltschädlichen Sparglühbirnen des Ministers angehen). Aber vielleicht sollte sich der Plan besser Plan A nennen, mit A wie Autharkie, woraus sich dann noch vermuten ließe, daß es eventuell noch einen Plan B, gäbe - für den Fall, daß - aber soweit reicht es bei unserer Regierung nicht.

Und schließlich noch das Zerrspiegelbild Nummer vier: Nach Zapatero war die Antrittsrede Obamas rein sozialdemokratisch. Das ist ein interessanter Gesichtspunkt, denn daraus ließe sich ableiten, daß Begriffe wie Nation, Vaterland, Geschichtsbewußtsein, Größe einer Nation und das Gottvertrauen sozialdemokratische Werte sind. Mit dieser Schlußfolgerung hat Alicio Zapatero erneut einen Beweis für seine unzulänglichen Englischkenntnisse erbracht und daß er nicht einmal auf die spanische Übersetzung der Rede zurückgegriffen hat. Dazu führt es halt, wenn man sich in konvexen und konkaven Spiegeln betrachtet, das gibt ein falsches Bild der Wirklichkeit wieder. Neben dem Desaster von 2009 wird das von 1898 als Anekdote erscheinen.

In Spanien hat sich also an der politischen Mentalität nicht viel geändert. Vor allem die Linke lebt noch nach einem Schema aus dem 19. Jahrhundert, es verändert sich nur der thematische Inhalt, nicht aber die Behandlungsweise der Themen.

Begriffserklärungen:
Die spanische Politik wird in Spanien mit einer Vielzahl an Spitznamen und Wortspielen beschrieben, die im Ausland nicht so ohne weiteres zu verstehen sind. Dazu ein paar Erläuterungen:
Manzanares: Fluß in Madrid - gate von Watergate.
Miguel Qué (Miguel Wiebitte). Der jetzige Minister für Handel und Industrie heißt Miguel Sebastián. Er war in den letzten Kommunalwahlen sozialistischer Kandidat für das Amt des Madrider Oberbürgermeisters, fuhr aber für die PSOE das schlechteste Ergebnis der letzten 30 Jahre ein und machte sich wegen einiger Ausrutscher unbeliebt, insbesondere am Ende des Wahlkampfes, als bekannt wurde, daß er als Verantwortlicher des Wirtschaftsbeirats des Premierministers Zapatero die Präsidenten der BBVA-Bank und des Energieunternehmens Endesa durch Beamte der Guardia Civil beschatten ließ, um diese gelegentlich öffentlich in Verruf zu bringen und dadurch als Hindernisse für die Pläne Zapateros aus dem Weg zu räumen. Da man nicht wußte, wer er denn war, als er antrat, nannte man ihn Miguel Wiebitte.
Minister Glühbirne. Im Sommer 2008 hatte Miguel Wiebitte den glühenden Einfall, zum Einsparen des Energieverbrauchs die Verwendung der teuren und häßlichen Energiersparglühbirnen zu empfehlen. Daher wird er 2009 und 2010 jedem Bürger Spaniens eine solche Gluhbirne schenken (auf Staatskosten, also auf Kosten des Steuerzahlers). Die leuchtenden Einfälle des Ministers führen zum Spitznamen Minister Glühbirne.
Vizevogue.
Die stellvertretende Regierungschefin Fernández de la Vega hat mit dem Posieren für Vogue den Zusatz -vogue bekommen. Man ersetzt daher oft Vega durch Vogue oder fügt Vogue anderen Namensbildungen an, daher Vizevogue, Fernández de la Vogue. Sie fällt dadurch auf, daß sie täglich andere teuere Modelle trägt, deren Kosten sich auf bis zu 6.000 Euro belaufen. Ich nenne sie auch Madame Plissé, da sie so unheimlich faltenreich ist..
Luces de Bohemia. Eines der wichtigsten Werke Valle-Incláns, die für das Esperpento, den Zerrspiegel, maßgebend sind.
Alice im Wunderland. Die Realitätsferne Zapateros wird oft mit der Geschichte von Alice im Wunderland verglichen. Danach ist das Spanien Zapateros nicht das Spanien der Wirklichkeit, seine Reden sind in der Tat realitätsfremd. Alicio spielt auf Alice an, er heißt aber José Luis (Joseph Ludwig).
Bibí Aído. Mitgliedin.
Bibiana Aido ist die Ministerin für Gleichheit (Gleichheit entspricht mehr dem Denken der Sozialisten als Gleichberechtigung). der Familienname Aído hört sich an wie "ha ido" (ist gegangen). "Ido" kann aber auch "geistig auf Abwegen" bedeuten, daher die Anpielung "(se) ha ido" - ist gegangen. Bei ihrem Amtsantritt kam es zu einer großen Debatte um ihre Wortschöpfung "Mitgliedin" (miembra), eine weibliche Form von Mitglied (miembro). Im Spanischen gibt es das Wort aber nicht, auch wenn es grammatisch machbar wäre. Seither ist das Wort "miembra" in aller Munde, wenn es darum geht, von den Ministerinnen der Zapatero-Regierung zu sprechen, insbesondere von der Ministerin für Gleichheit.