Sonntag, 18. Dezember 2011

König Otto I. von Griechenland und der Undank der Griechen

Drei Jahrzehnte saß ein Wittelsbacher in Athen auf dem Königsthron. Vor fast 150 Jahren aber taten die Griechen das, wovon heute viele von ihnen träumen: Sie jagten die Deutschen aus dem Land. Nur das bayerische Bier blieb

Herbsttage in Athen: Das Kabinett debattiert ergebnislos über die Tilgung der Lasten aus einem internationalen Darlehensvertrag, der vor 30 Jahren abgeschlossen wurde. Griechische Berechnungen ergeben horrende Zinssätze von 56 Prozent. Jeder Minister meldet Sonderwünsche an. Nach wie vor drängen einflussreiche Familien auf gut dotierte Staatsposten für "Protektionskinder". Der Druck ausländischer Mächte nimmt zu. Auch in Italien eskaliert die Situation.


Griechenland 2011? Nein, die Szene beschreibt die letzten Monate des Jahres 1862. Dennoch wirkt die Situation allzu vertraut, mit einer Ausnahme: Italien beging damals gerade die Gründung des Nationalstaates und nicht, wie heute, seine Auflösung. Und noch etwas verbindet den heißen Herbst 1862 mit dem von heute: Es braut sich ein Aufstand gegen die Deutschen zusammen. Seit Sommer 2011 gilt Bundeskanzlerin Angela Merkel auf den Straßen Athens als Unperson. Im Frühjahr 1863 trieb die Empörung über einen deutschstämmigen Politiker die Griechen gar zum Aufstand. Wenige Monate später wurde Otto I. (1815-1867), der erste König des neugriechischen Nationalstaates, aus dem Lande gejagt.

Erste Residenz Ottos I. in Athen

Aus griechischer Perspektive reduzierte sich Deutschland vor 150 Jahren auf Bayern. Denn aus dessen Königshaus stammte Otto. Er war der zweitgeborene Sohn Ludwigs I. von Wittelsbach, eines leidenschaftlichen Philhellenen, der die griechische Revolution gegen die Osmanen mit viel Sympathie, Geld und sogar einer Militärmission unterstützt hatte. Nachdem die Griechen ihren ersten Präsidenten Kapodistrias erschossen hatten, übertrugen die Schutzmächte England, Frankreich und Russland dem noch unmündigen Otto die griechische Krone. Das war 1832. Es folgte ein frühes Experiment westlicher Entwicklungshilfe in einem von mehr als sieben Jahren Krieg und Bürgerkrieg verwüsteten Land.

Otto I. im Exil
Ein Zeitzeuge, der russische Admiral Rikord, notierte: "Es ist merkwürdig zu sehen, wie die Germanen sich in diesem Chaos der griechischen Angelegenheiten an das Werk machen, einen ordentlichen Staat zu schaffen. Nun entsteht die Frage: Ob es ihrer phlegmatischen Ordnung, ihren langsamen Befehlen und immer verspäteten Maßregeln gelingen wird, ... Griechenland einem Systeme zu unterwerfen, dieses Griechenland, dessen einziges System bis jetzt allein der Revolutionsgeist war?"

Tausende bayerischer Beamter, Soldaten und Söldner machten sich ans Werk. Ihr Vorbild war dabei eine absolutistische Erziehungsdiktatur im Sinne von Zar Peter dem Großen. Ihr wichtigstes Feindbild waren weite Teile dessen, was die Revolution als griechische Nation geformt hatte und sich auf keinen gemeinsamen Nenner bringen ließ: reiche Auslandsgriechen etwa, die seit Jahrhunderten in Paris, Wien oder Odessa ansässig waren; die sogenannten Phanarioten, die um den Sitz des Patriarchen in Istanbul wohnten und im Grunde Juniorpartner der Osmanen gewesen waren; Großgrundbesitzer und Warlords, die einander oft nur in Blutrache verbunden waren; global denkende Reeder von den Inseln; charismatische Räuberhäuptlinge und ihr wettergegerbter Anhang; und schließlich eine analphabetische Bevölkerung, die in diesem Hexenkessel ihre Beschützer suchte. Um das Maß vollzumachen, leiteten die Gesandten der drei beteiligten Großmächte auch noch regelrechte Parteien an.

Innerhalb von zwei Jahren bauten die drei Vormünder Ottos - denn bis zu dessen Volljährigkeit Mitte 1835 sollte sein Staat ja fertig sein - eine Verwaltung, ein Schulwesen, ein Rechtssystem, eine Armee, eine Staatskirche, eine Finanzverwaltung auf, verlegten die Hauptstadt von Nafplion nach Athen und richteten sogar ein Übersetzungsbüro mit drei Dolmetschern ein, die die Kommunikation zwischen dem Volk und den Behörden zu gewährleisten hatten, deren Amtssprache die Katharevousa war, eine in Paris geschaffene, am klassischen Griechisch angelehnte Kunstsprache. Die erwähnte Anleihe über 40 Millionen Francs schmolz ebenso schnell dahin wie das Vertrauen der Bevölkerung in die "Bavarokratia". Der erste Aufstand gegen Otto datiert vom Sommer 1834. Er sollte nicht der letzte sein.

Das lag auf der Hand. Schließlich gab es noch Zehntausende Guerillakrieger der Revolution, die sich um den Lohn ihres Kampfes gebracht sahen. Und darunter verstanden sie keineswegs ein Stück Land. Um dem Schicksal eines Bauern und seines niedrigen Prestiges zu entfliehen, waren viele einst in die Berge gegangen. Jetzt forderten sie Anerkennung, durch Renten oder Posten beim Staat. Vor allem jene, die sich für Offiziere hielten, und davon gab es Tausende.

Griechische Nationalversammlunt 1844

Ottos teure Söldner aus Deutschland hatten gegen die ortskundigen Guerillas in den Bergen keine Chance und landeten nicht selten nackt und gebunden in einem Sack, in den man auch noch hungrige Katzen packte. Es war ja nicht so, dass sich mit der Revolution die Griechen nach vierhundertjähriger Osmanenherrschaft umgehend in strahlende Nachfahren eines Aristoteles verwandelt hätten, wie die Philhellenen in ihren biedermeierlichen Cafés meinten. Als Ottos Vormünder eine Guillotine einführten, um die Todesstrafe zu humanisieren, zerschlug das Publikum das teure Gerät. Nicht, weil es für unmenschlich erachtet worden wäre. Einem Griechen stand das Recht zu, erschossen zu werden.

Vieles erschwerte das Verhältnis zwischen Erziehern und Schülern. Die Bayern wurden besser bezahlt, erhielten die guten Posten, kleideten sich westlich und ernährten sich fremd. Bereits 1835 gab es in Athen drei Brauereien, was zu zahlreichen Schlägereien "im bayerischen Suff" führte. An die Armee erging der Befehl, die Kartoffel als Grundnahrungsmittel populär zu machen. Heute kann man sich eine griechische Taverne ohne Patates und Bira (nach deutschem Reinheitsgebot) nicht vorstellen.

Damals sahen die Griechen das anders. Die Guerilla-Offiziere erzwangen schließlich ihre Einstellung in eine "Eliten-Phalanx". Sie ruinierte den Staatshaushalt endgültig und schuf durch Tausende unzufriedene Revolutionssoldaten ein Reservoir für militärische Abenteuer.

Bierbrauerei Fix in Griechenland
Die lagen in der Regel jenseits der Landesgrenzen, welche die Großmächte 1832 eng genug gefasst hatten. Gerade bis zur Linie Arta-Volos reichte Ottos Herrschaft, das Gros der Griechen lebte jenseits. So führten die nun arbeitslosen Krieger einen Guerillakrieg im Norden, um die "megali idea", die große Idee der Griechen, zu verwirklichen: ein Großreich mit der alten byzantinischen Hauptstadt Konstantinopel. Weil diese nationale Aufgabe durch Ottos Regierung aber nicht standesgemäß unterstützt werden konnte - weil wieder einmal ein Staatsbankrott drohte, die Großmächte intervenierten oder sich die Türken als die Stärkeren erwiesen -, fanden die Griechen in ihrem König ein weiteres Feindbild. 1843/44 beendete eine Revolution dessen absolutistisches Regime, 1862 eine andere seine Herrschaft.

Auch damals prägten Korruption, Patronage, marode Staatsfinanzen, aufgeblähte Verwaltungen und eine exorbitante Armee (bei 10 000 Mann verfügte sie über 1000 Offiziere und 70 Generäle) sowie Parteienhader bis zum Bürgerkrieg Griechenlands Bild - und Großmächte, die sich stritten, wer das Land zu neuer Blüte führen solle. Ämter galten nicht als Dienst am Staat, sondern als "Anteil am öffentlichen Einkommen", wie ein Beobachter bemerkte: "Jedes Amt soll zur reichen Quelle des Gewinns werden."

Otto, 1862 gerade einmal 47 Jahre alt, und seine Frau Amalie waren kinderlos geblieben. Sie versprachen keine Erhöhung der Einnahmen, aus denen sich neue Pfründen generieren ließen. Spätestens als England und Frankreich verhinderten, dass Griechenland im Krimkrieg 1853 gegen die Türken an der Seite Russlands zu Felde zog, stand sein Königtum auf tönernen Füßen. Immer weniger konnte er den Unmut seiner Untertanen gegen den osmanischen Erbfeind ableiten. Der patriotische Enthusiasmus wurde zu "Champagner, aus dem die Kohlensäure verrauscht ist", schrieb ein Zeitzeuge. Die verkaterten Griechen rächten sich bitter an ihrem König.

Otto (1815-1867), nachgeborener Sohn von König Ludwig I. von Bayern, erhielt 1832 von den Großmächten England, Frankreich und Russland die Königskrone des neugegründeten griechischen Nationalstaats. Im Winter 1832 verabschiedete er sich von seiner Familie.

Manche Beobachtungen heute lesen sich wie ein Déjà-vu: kompromissloser Parteienhader, fremdenfeindliche Töne, konfuses Herumwursteln und der Staat als Beute, das sind die Bilder, die uns täglich aus Griechenland erreichen. Und Hakenkreuze als neue alte Feindbilder.

Doch wir sollten uns auch erinnern, dass ein anderer Otto, Rehagel mit Namen, als "Rehakles" nach dem Gewinn der Fußball-Europameisterschaft 2004 zum neuen hellenischen Nationalheros erhoben wurde. Zwar scheiterte er 2010. Dafür aber gibt es mit der Marke "Fix" nach einigen Pleitejahren heute wieder jenes Getränk, mit dem der bayerische Brauer Johann Karl Fuchs 1864 in Hellas zu einer Fortsetzung der Herrschaft mit anderen Mitteln ansetzte. Alles in Griechenland ist schon einmal da gewesen. Auch die Versöhnung in Freundschaft.

München - Fürstengruft in der Theatinerkirche



Freitag, 9. Dezember 2011

Bogenberger Erklärung: 16 Thesen zur Lage der Europäischen Währungsunion

Wege aus der Krise: In einer gemeinsamen Erklärung fordern Bürger, rund um das von Prof. Sinn geführte ifo-Institut, im Rahmen der Neuverhandlung des EU-Vertrages eine grundlegende Revision der Verteilung der Stimmrechte und der Entscheidungsregeln innerhalb der Europäischen Zentralbank (EZB).


1. Die Krisenursache
Die Europäische Währungsunion steckt in einer tiefen Strukturkrise, die ihre Ursache in einer übermäßigen privaten und öffentlichen Verschuldung der peripheren Länder hat. Dass es zu dieser Verschuldung kam, liegt am Euro selbst. Die Ankündigung und Einführung des Euro hat die Zinsen der Südländer auf das deutsche Niveau gesenkt, nicht zuletzt, weil eine fehlerhafte Regulierung die falsche Erwartung niedriger Anlagerisiken geschaffen hatte. Durch die niedrigen Zinsen ließen sich staatliche und private Akteure in den späteren Krisenländern zu einer übermäßigen Kreditaufnahme verleiten. Dadurch wurde ein künstlicher, kreditfinanzierter Wirtschaftsboom ausgelöst, der die Preise und Löhne viel rascher als in den anderen Euroländern ansteigen ließ, was die Importe erhöhte und die Exporte dämpfte. Es bildete sich eine Wirtschaftsblase, die die Preise und Löhne zum Teil weit über ihr langfristiges Gleichgewichtsniveau erhöhte. Die Blase platzte, als die Kapitalmärkte sich weigerten, die gewaltigen Leistungsbilanzdefizite, die so entstanden, weiterhin zu finanzieren. Heute stecken die ehemals boomenden Länder mit ihren überzogenen Preisen und Löhnen in einer tiefen strukturellen Krise und sind nicht mehr wettbewerbsfähig. Sie bräuchten jetzt eigentlich ein Realignment, also eine Neujustierung der Wechselkurse, wie man sie gelegentlich in Festkurssystemen vornimmt, um billiger zu werden, aber dieser Weg ist im Euro verbaut. Also bleibt nur die Möglichkeit, die Löhne und Preise im Vergleich zu den Wettbewerbern zu senken oder dauerhaft Hilfen von anderen Ländern zu erbitten. 
 
2. Euro-Gewinner Deutschland? 
Deutschland war nicht der Gewinner des Euro, wie manche Politiker behaupten, sondern profitiert vom Freihandel. Der riesige Kapitalexport aus Deutschland in die Defizitländer, den der Euro mit sich brachte, ist eine wesentliche Ursache dafür, dass Deutschland lange Zeit die niedrigste Nettoinvestitionsquote aller OECD-Länder hatte, beim Wachstum die rote Laterne trug und eine Massenarbeitslosigkeit durchlebte, die die Regierung Schröder zu schmerzlichen Sozialreformen zwang. Vom Beginn der Zinskonvergenz, die schon im Jahr 1995 durch die Ankündigung des Euro eingeleitet wurde, bis zum Jahr 2007, dem letzten Jahr vor der Krise, war Deutschland vom dritten auf den elften Platz beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der EU-Länder zurückgefallen. Die These, dass Deutschland in besonderer Weise vom Euro profitiert habe, ist angesichts dieser Fakten nicht haltbar.Erst nach dem Ausbruch der Eurokrise, in den Jahren 2010 und 2011, konnte Deutschland ein überdurchschnittliches Wachstum realisieren. Aber das lag zum einen daran, dass es seine eigene Euro-krise durch eine jahrelange Zurückhaltung bei Löhnen und Preisen und die Anstrengungen der Wirtschaft überwunden hat, und zum anderen an einer Neueinschätzung der Auslandsrisiken, die die deutschen Investoren veranlasst hat, im vergleichsweise sicheren Heimathafen zu bleiben. In der Tat wurde der Konjunkturaufschwung der letzten zwei Jahre vor allem durch die Investitionen getrieben. Unser Land arbeitete sich deswegen vom elften auf den neunten Platz im Ranking der EU-Länder voran. Der Erfolg kam also nicht wegen des Euro zustande, sondern trotz des Euro und wegen dessen Krise. 
 
3. Nur eine Vertrauenskrise? 
Es handelt sich bei der Euro-Krise nicht allein um eine Vertrauenskrise, die ihre Ursache in dysfunktionalen Märkten hat, wie es von Seiten der Schuldner und ihrer Gläubiger immer wieder behauptet wird, um die Taschen der Retter zu öffnen, sondern um eine klassische Zahlungsbilanzkrise, die aus überhöhten Preisen für Güter und Vermögensobjekte in den Defizitländern resultiert. Insofern ist der Versuch, die Krise durch eine Vergrößerung der Feuerkraft von Rettungssystemen in Schach zu halten, zum Scheitern verurteilt. In Wahrheit wird die fehlende Wettbewerbsfähigkeit der peripheren Länder dadurch verfestigt, denn solange öffentliche Mittel zur Finanzierung der Leistungsbilanzdefizite zur Verfügung stehen, wird die nötige Korrektur der überhöhten Preise und Löhne unterbleiben. Außerdem wird die Kapitalflucht befördert, denn es wird ein einseitiges Abwärtsrisiko für Vermögenswerte wie Immobilien, Firmen oder Wertpapiere erzeugt. Jeder weiß, dass diese Werte fallen werden, sobald sich die Taschen der Retter geleert haben. Die reichen Vermögensbesitzer der Krisenländer, die ihr Vermögen schon in Sicherheit gebracht haben, kaufen deshalb auch weiterhin lieber deutsche Firmen, Immobilien und Staatspapiere, als sich in ihrem Heimatland dem Risiko von Vermögensverlusten auszusetzen. So leeren sich dann die Taschen der Retter tatsächlich, ohne dass die strukturellen Ursachen der Krise gelöst werden, und letztendlich kollabiert das System. 
 
4. Eigenmächtige Selbsthilfe mit der Druckerpresse 
Viele meinen, der Euroraum leide unter einer temporären Krise, die erst seit dem letzten Jahr zu Rettungsaktionen geführt hat. Davon kann nicht die Rede sein. Schon seit dem Herbst 2007 haben sich die Krisenländer in riesigem Umfang selbst mit der Notenpresse finanziert, was im Verein mit einer Verlagerung der Refinanzierungskredite des Zentralbankensystems einen öffentlichen Kapitalexport von Deutschland in die Krisenländer bewirkte.Bei der Bundesbank sind auf diese Weise Ausgleichsforderungen (Target) von bald 500 Milliarden Euro aufgelaufen, die niedrig verzinst sind und nicht fällig gestellt werden können. Hätte der Euroraum die Regeln des amerikanischen Währungssystems übernommen, hätte die Bundesbank statt dieser Ausgleichsforderungen von den Krisenländern marktgängige Wertpapiere erhalten. Das hätte den Hang, sich der Notenpresse zu bedienen, erheblich verringert.Die Leistungsbilanzdefizite Griechenlands und Portugals wurden seit dem Herbst 2007 praktisch vollständig mit der Notenpresse finanziert, bis die Staatengemeinschaft schließlich mit den offenen Rettungsaktionen zu Hilfe kam. Die Eurozone befindet sich derzeit schon im fünften Jahr der Totalrettung dieser Länder. Im Falle Spaniens wurde ein erheblicher Teil der Leistungsbilanzdefizite finanziert. Irland druckte viel frisches Geld zur Kompensation der Kapitalflucht. Faktisch nahmen die Krisenländer ähnlich wie die Vereinigten Staaten seinerzeit im Bretton-Woods-System die Rolle von Reservewährungsländern im Euroraum ein, die ihre Finanzierungsdefizite gegenüber anderen Ländern mit selbstgedrucktem Geld statt mit Krediten zu Marktkonditionen schlossen.Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) hat diesen Vorgang nicht nur toleriert, sondern durch eine Absenkung der Sicherheitsstandards für Refinanzierungskredite an die Banken tatkräftig unterstützt. Durch den Verzicht auf eine Mindestqualität der als Sicherheiten eingereichten Staatspapiere Griechenlands, Portugals und Irlands hat er mittelbar einer Monetisierung der Staatsschulden dieser Länder Vorschub geleistet. Die Bundesbank hat die zuströmende Liquidität durch eine Verringerung ihrer Refinanzierungskredite und eine Kreditaufnahme bei den deutschen Banken wieder abgeschöpft und ist dabei zu einem Nettoschuldner des deutschen Bankensystems geworden.Seit dem Sommer ist eine gewaltige Kapitalflucht von Italien nach Deutschland im Gang, bei der italienische Vermögensbesitzer mit neu gedrucktem Geld deutsche Firmen, Immobilien und Wertpapiere erwerben, während Deutschland sich im Austausch dafür mit dem Aufbau weiterer Target-Forderungen der Bundesbank gegen das EZB-System begnügen muss. Die Notenpresse in Italien läuft heiß, und bei der Bundesbank wird das hereinströmende Geld geschreddert. Es gibt bislang keine Grenze für diesen Prozess. 
 
5. Fehlende Gegenwerte 
Die Selbsthilfe mit der Notenpresse hat Konsequenzen für die Beurteilung der deutschen Exportüberschüsse. Normalerweise kann ein Land, das Exportüberschüsse erwirtschaftet, dafür im Ausland Vermögenstitel erwerben, die ihm Zinseinnahmen und Gewinne verschaffen und bei Bedarf aufgelöst werden können, um die Versorgung auch im Falle einer eigenen Wirtschaftsschwäche zu sichern. Im Euroraum war es leider anders.In den drei Jahren von 2008 bis 2010 hatte Deutschland gegenüber den anderen Euroländern einen Leistungsbilanzüberschuss von 264 Milliarden Euro. Dafür hat es in seiner Gesamtheit aber praktisch keine marktüblichen Vermögensansprüche gegen das Ausland wie zum Beispiel Fabriken, Immobilien oder Wertpapiere erhalten. Vielmehr wurde dieser Überschuss zu 255 Milliarden Euro oder 96 Prozent mit bloßen Target-Forderungen der Bundesbank gegen die EZB beglichen. Nur zu 4 Prozent wurden per saldo andere Forderungen erworben, wobei 2 dieser 4 Prozent auch noch auf Forderungen aus öffentlichen Rettungsaktionen zurückgehen.Der private Sektor hat von dem Vorgang insofern profitiert, als seine Verschuldung gegenüber dem Bankensystem und der Bundesbank abnahm. Das mag vielen als ausreichende Kompensation für die Exportüberschüsse erscheinen. Indes hat die Bundesbank auf diese Weise inländische Forderungen gegen das deutsche Bankensystem in Auslandsforderungen gegen das EZB-System umgetauscht, von denen man nicht weiß, wie man sie eintreiben könnte, sollte der Euro auseinanderbrechen und die EZB abgewickelt werden. Die Rekapitalisierung der Bundesbank durch Steuererhöhungen, die in diesem Fall nötig ist, würde dann möglicherweise den gesamten privaten Vermögenszuwachs, der durch die Exportüberschüsse der drei betrachteten Jahre entstand, vernichten.Exportüberschüsse sind für sich allein kein Ausweis einer Gewinnerposition, wie die Politik behauptet. Sie nützen einem Land nur, wenn es dafür sichere und marktgerecht verzinste Aktiva erwirbt, die es im Bedarfsfall zur Sicherung des Lebensstandards einsetzen kann, indem es entsprechende Leistungsbilanzdefizite realisiert. Müssen wir unsere Target-Forderungen gegen das EZB-System ganz oder teilweise abschreiben, dann waren unsere Exportüberschüsse mit den anderen Ländern der Eurozone insoweit Geschenke, die das Land nicht reicher gemacht haben. Die Bürger haben dann umsonst gearbeitet. 
 
6. Mandatsüberschreitung 
Beginnend mit dem Jahr 2010 hat die EZB die nationalen Zentralbanken zusätzlich beauftragt, Staatspapiere von Krisenländern zu kaufen. Allein in den letzten vier Monaten sind Käufe im Umfang von über 130 Milliarden Euro angeordnet worden. Insgesamt sind bis Ende November schon mehr als 200 Milliarden Euro zusammengekommen, wovon 27 Prozent von der Bundesbank getätigt werden mussten.Damit wird das Verbot der Staatsfinanzierung verletzt, das in Artikel 123 der EU-Verträge ausgesprochen wird. Die beiden deutschen Repräsentanten im EZB-Rat sind aus Protest gegen diese Politik zurückgetreten. Bundespräsident Christian Wulff hat der EZB vorgeworfen, den Maastrichter Vertrag zu umgehen. Der neue Bundesbank-Präsident Jens Weidmann wehrt sich vergebens und wird, wie schon sein Vorgänger, stets im EZB-Rat überstimmt. Die Politik sollte darüber nicht zur Tagesordnung übergehen.Die Finanzierungshilfen der EZB sind in ihrem Kern nicht geld-, sondern fiskalpolitischer Natur. Zum einen werden ja die Effekte auf die Geldmenge, wie die EZB selbst immer wieder betont, sterilisiert. Zum anderen verlagern diese Hilfen in riesigem Umfang Kapital und damit einhergehend Vermögensrisiken zwischen den Staaten der Eurozone. Sie hätten der Kontrolle der Parlamente bedurft.Die Geschäftsgrundlage der EZB war es, das Bundesbank-Modell zu übernehmen, und nicht, ihre Politik in Opposition zur Bundesbank durchzuboxen. Es ist ein Unding, dass der EZB-Rat, in dem Deutschland unterrepräsentiert ist, sich das Recht herausnimmt, einer Teilgruppe von Ländern die Möglichkeit zu geben, ihre außenwirtschaftlichen Finanzprobleme über längere Zeiträume hinweg mit der Notenpresse zu lösen. Was als Kontokorrent-Kredit gemeint war, kann nicht als Dauerfinanzierung genutzt werden. Wer das zulässt oder gar fördert, überschreitet sein Mandat.Deutschland sitzt mit seinen Target-Forderungen in der Falle und käme aus dem Euro auch dann nicht mehr ungeschoren heraus, wenn es das wollte, denn geht der Euro zu Bruch, stehen etwa 500 Milliarden Euro an Forderungen gegen eine Institution im Raum, die es nicht mehr gibt. Unser Land ist durch den freien Zugang zur Notenpresse, den der EZB-Rat den überschuldeten Ländern verschafft hat, erpressbar geworden.Zu den höchsten Prioritäten der deutschen Politik muss es deshalb gehören, die Regeln, nach denen die EZB arbeitet, in einem neuen EU-Vertrag zu ändern. Jedenfalls kann Deutschland keinen Vertragsänderungen zustimmen, die eine Ausweitung der öffentlichen Rettungsaktionen vorsehen, wenn nicht zuvor, etwa in Form einer Übernahme der amerikanischen Regeln zur Bezahlung der Target-Salden mit marktgängigen Wertpapieren, Maßnahmen zur Eingrenzung der Selbstbedienung mit der Notenpresse vereinbart wurden.Wenn die EZB tatsächlich befugt werden soll, eine Kreditvergabe zwischen den Staaten, sei es über die systematische Verlagerung der Geldschöpfungskredite zwischen den Ländern, sei es über die Käufe von Staatspapieren, vorzunehmen, dann braucht sie dafür eine Entscheidungsstruktur, wie sie auch bei den zwischenstaatlichen Rettungssystemen vereinbart wurde. Dort spiegeln die Stimmrechte die Haftungsstrukturen wider, und bei Grundsatzentscheidungen wird Einstimmigkeit verlangt. 
 
7. Riesige Haftungssummen 
Zu der Haftung durch die Risikopolitik der EZB sind seit dem letzten Jahr auch noch Haftungsrisiken durch die zwischenstaatlichen Rettungssysteme hinzugetreten. Die Politik nennt diese Haftungssummen, ohne zu erwähnen, dass sie nur einen Bruchteil dessen ausmachen, was Deutschland im Fall der Fälle wirklich zu schultern hätte. Statt nur für 211 Milliarden Euro haftet Deutschland, wenn man die anteiligen Verpflichtungen der Bundesbank und die schon gewährten Finanzhilfen mit einbezieht, in Wahrheit schon für bald 600 Milliarden Euro, und die Summe steigt von Tag zu Tag. Die bisher noch hohe Bonität unseres Landes bei den internationalen Kapitalanlegern ist ernsthaft bedroht.Die Politik versteift sich auf die Position, dass die Garantien im Zuge der Rettungsaktionen nicht gezogen werden, dass die Hebelung des Rettungsfonds nicht zu einer Erhöhung der Risiken für Deutschland führt und dass es keine Notwendigkeit geben wird, der Bundesbank neues Eigenkapital zum Ausgleich für Abschreibungsverluste zuzuführen. Diese Position ist nicht mehr glaubhaft. Wenn sie sich im Endeffekt doch bewahrheiten sollte, so nur deshalb, weil die Retter die Geretteten später mit offenen fiskalischen Transfers in die Lage versetzen werden, ihre Schulden zu bedienen, also insofern die Schulden selbst zurückzahlen.Die Übernahme der Haftung in solch riesigem Ausmaß wird Unfrieden in Europa erzeugen. Sie wird eine Transferunion erzwingen, die eine schleichende Enteignung der deutschen Sparer bedeutet und das Vertrauen in die staatliche Ordnung unterminiert.Wir befürchten, dass das, was wir sehen, erst der Anfang ist. Die Staatsschulden der Krisenländer (Griechenland, Irland, Italien, Portugal, Spanien) liegen derzeit bei 3,35 Billionen Euro. Systeme zu etablieren, die den Weg in die Ausweitung der Haftung möglich machen, halten wir für unverantwortlich. Dem darf die Bundesregierung nicht zustimmen. 
 
8. Monetäre Staatsfinanzierung 
Die neuerlich von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso erhobenen Forderungen nach einer noch direkteren monetären Staatsfinanzierung, etwa über die Gewährung einer Banklizenz für den europäischen Rettungsfonds, sind gefährlich und öffnen die Büchse der Pandora. Wenn die Notenpresse in den unmittelbaren Dienst der Staatsfinanzierung gestellt wird, ist dem Missbrauch Tor und Tür geöffnet, was Deutschlands leidvolle Erfahrungen mit der Hyperinflation zur Zeit der Weimarer Republik beweisen.Zum einen würde damit die Haftung der soliden Länder für die bereits aufgelaufenen Staatsschulden und Target-Kredite der Krisenländer noch weiter ausgedehnt. Hohe Abschreibungslasten, die der Staat zum Ersatz des Eigenkapitals der Bundesbank leisten muss, wären zu erwarten.Zum anderen könnte die Notenbank ihr eigentliches Mandat, Geldwertstabilität zu sichern, nicht mehr erfüllen, weil die Anreize, in Zukunft tragfähige öffentliche Haushalte vorzulegen, noch weiter geschwächt werden. Die wachsenden Schuldenlasten würden im Verein mit den heute schon riesigen Target-Schulden einen immer stärkeren politischen Druck zur Flucht in die Inflation hervorrufen, dem sich die Notenbank im Endeffekt nicht wird widersetzen können.Geldwertstabilität ist aber eine Grundvoraussetzung für den inneren Frieden einer Gesellschaft und auch für die Zukunft der Währungsunion. Genau aus diesen Gründen verbieten die EU-Verträge die monetäre Staatsfinanzierung. Die offensichtliche Rechtsbeugung, die nun von Seiten der EU-Kommission verlangt wird, untergräbt das Vertrauen in die Währungsunion und die Stabilität ihrer Währung. Gäbe man dem Verlangen nach, wäre der Europäischen Währungsunion endgültig die Geschäftsgrundlage entzogen. 
 
9. Eurobonds 
Mit großer Sorge sehen wir auch die immer wieder von neuem vorgebrachten Vorschläge der EU, Eurobonds oder andere Gemeinschaftsfonds durchzusetzen. Eurobonds würden die massive Kapitalabwanderung aus Deutschland heraus, die das Wachstum lange beeinträchtigt hatte, wieder aktivieren und unser Land abermals zurückwerfen. Sie würden die überschuldeten Staaten der Peripherie anregen, neue Schulden zu machen, und die Bedingungen, die zur Krise des Euro geführt haben, perpetuieren. Insbesondere würden die Eurobonds die Kapitalströme in Europa wieder in Gang setzen und damit die Leistungsbilanzungleichgewichte zwischen den Ländern verfestigen.Die heute von manchen als unerträglich hoch empfundenen Zinsen Italiens und Spaniens liegen im Bereich der Werte, die selbst Deutschland in den siebziger und achtziger Jahren hat zahlen müssen, und weit unter den Zinsen, die diese Länder vor dem Eintritt in den Euro entrichtet haben. Wir sind nicht der Meinung, dass die Märkte hier schon das Risiko übertreiben und dass deshalb Maßnahmen zur Begrenzung der Zinsen angebracht sind. Noch besteht die Chance, dass sich die Zinsen auf einem höheren Niveau stabilisieren.Eurobonds kämen Deutschland extrem teuer zu stehen, weil für die deutsche Staatsschuld zusätzliche Zinskosten im Umfang von mehreren Dutzend Milliarden Euro pro Jahr anfielen. Eurobonds mit gesamtschuldnerischer Haftung hat das Verfassungsgericht zu Recht verboten, und wenn Eurobonds mit anteiliger Haftung tatsächlich ein von den Märkten präferiertes Finanzinstrument wären, dann wären sie schon lange von privaten Investment-Fonds angeboten worden.Den Vorschlag des deutschen Sachverständigenrates, unter Umgehung des Maastrichter Vertrages einen europäischen Schuldentilgungsfonds einzurichten, beurteilen wir ähnlich. Die Vorstellung, ein solcher Fonds lasse sich mit verbindlichen Regeln zur Schuldentilgung ausstatten, wird der politischen Praxis nicht standhalten. Der Schuldentilgungsfonds wird bestenfalls als Wegbereiter für Eurobonds dienen, denn wenn Deutschland bereits für einen Teil der Schulden haftet, wird der Druck groß, auch noch für den anderen Teil zu haften, damit die Garantien für die Teilschuld zunächst noch nicht fällig werden. Der Schuldentilgungsfonds ist gefährlich für die Stabilität der Eurozone im Allgemeinen und Deutschlands im Besonderen. 
 
10. Politik der restriktiven Rettung 
Nur eine Politik der restriktiven Rettung, die die öffentlichen Mittel an überschuldete Länder knapp hält, eine Korrektur der fehlerhaften Preisstrukturen bewirkt und Konkurse bei Ländern zulässt, die sich trotz umfangreicher Liquiditätshilfen nicht selbst helfen können oder wollen, kann den Euro erhalten. Es muss einen Mittelweg zwischen der Verweigerung von Hilfe für bedrängte Nachbarstaaten und der Schaffung eines Selbstbedienungsladens für die Staatsfinanzierung geben.Die Politik bewegt sich derzeit in die Richtung immer größerer Rettungssummen und glaubt, sie könne sich vor einem Missbrauch schützen, indem sie den Nehmerländern Auflagen macht, die den Entscheidungsspielraum der dortigen politischen Instanzen verringern. Das schafft Unfrieden, weil unpopuläre Maßnahmen dem Helfer zugerechnet werden und nicht den eigenen Fehlern. Deutschland und Europa geraten immer mehr in eine Rolle des Sündenbocks und werden die Zielscheibe von demagogischen Attacken.Besser, als Verhaltensvorschriften zu machen, ist es, die Rettungsmittel zu begrenzen. Nur dann kann man den Mittelweg glaubhaft beschreiten. Man muss in diesem Fall aber zulassen, dass Länder, denen die nur begrenzt zur Verfügung stehenden Hilfsmittel nicht reichen und die zur Erlangung ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu großen Preissenkungen ausgesetzt wären, aus der Währungsunion austreten. 
 
11. Transferunion? 
Wenn Deutschland die Möglichkeit einer Gläubigerbeteiligung oder eines Austritts aus der Währungsunion ausschließt, gibt es zu erkennen, dass es bereit ist, Länder, die nicht wettbewerbsfähig sind, dauerhaft und um jeden Preis zu stützen. Das ist der sichere Weg in die Transferunion. Angesichts der relativen Größe der Bevölkerung der Krisenländer, immerhin vierzig Prozent der Gesamtbevölkerung des Euroraums, halten wir diesen Weg für nicht gangbar.Der manchmal angeführte Vergleich mit den neuen Bundesländern ist nicht zulässig, denn zum einen lebten dort seinerzeit nur etwa 20 Prozent der gesamtdeutschen Bevölkerung und zum anderen benötigen die neuen Bundesländer auch heute noch erhebliche öffentliche Mittel aus dem Westen. Man kann das Geld immer nur einmal ausgeben.Wenn der Weg in die Transferunion aber dennoch gegangen werden soll, müssen zuvor sehr viel weitergehende Reformen beschlossen werden, die eine gemeinsame europäische, bundesstaatlich organisierte Nation begründen und auch anderen Ländern erhebliche Zugeständnisse abverlangen. Dazu gehören nicht zuletzt die vollständige Zusammenfassung der Streitkräfte unter gemeinschaftlicher Befehlsgewalt, eine gemeinsame Außenpolitik und die weitgehende Aufgabe der einzelstaatlichen Autonomie. Dies ist allenfalls langfristig zu erreichen. Im Übrigen müsste sichergestellt werden, dass die Transfers von den reichen an die armen Staaten gehen und nicht wie in der gegenwärtigen Konstruktion von den Regeltreuen an die Regelbrecher. 
 
12. Zinsspreizung und Leistungsbilanzsalden 
Europa ist heute noch weit entfernt davon, eine gemeinsame Nation zu bilden. Aber selbst wenn die Bildung einer Nation gelänge, wäre eine gegenseitige Haftung für die Schulden der Teilstaaten schädlich. Das zeigt das Beispiel erfolgreicher politischer Unionen wie der Vereinigten Staaten und der Schweiz. In Amerika musste erst eine Reihe von Staaten in Konkurs gehen, bis allen klar war, dass es keine gegenseitigen Hilfen gibt. Auch diese Klarheit hat dazu beigetragen, die Schulden der Einzelstaaten in engen Grenzen zu halten.Exzessive außenwirtschaftliche Ungleichgewichte im Euroraum lassen sich nur vermeiden, wenn man auf den Haftungsverbund verzichtet und stattdessen die Marktkontrolle über die Kapitalströme erhält. Nur wenn die Möglichkeit des Staatskonkurses im Falle der Überschuldung besteht, führt eine wachsende Verschuldung zu einem Zinsanstieg, der das Interesse an ebendieser Verschuldung bei den Schuldnern begrenzt und Disziplin erzwingt. Nur bei einer solchen Selbstkontrolle des Kapitalmarktes lässt sich verhindern, dass die Wirtschaft der Kreditnehmer überhitzt, während jene der Kreditgeber in die Flaute gerät, was die häufig beklagten Ungleichgewichte bei den Leistungsbilanzen zur Folge hätte.Man muss der Versuchung, die eigenen Ausgaben mit Schulden zu finanzieren, entgegenwirken, anstatt sie durch eine Politik der Zinsangleichung von neuem zu wecken. Es gibt kein Anrecht auf niedrige Zinsen als Mitglied der Eurozone, das man auf politischem Wege befriedigen müsste. Niedrige Zinsen sind ein Vorteil, den man sich erarbeiten muss. 
 
13. Programmierte Konflikte 
Offensichtlich sind einige Mitglieder der Währungsunion teils nicht fähig, teils nicht willens, die mit einer Währungsunion verbundenen gesamtwirtschaftlichen Konvergenzanstrengungen politisch umzusetzen. Im Verein mit ihren Gläubigern, die sich verspekuliert haben, versuchen sie nun in Form des europäischen Rettungsfonds einen Käufer für die toxisch gewordenen Staatspapiere zu finden.Das schafft zwar zunächst Ruhe auf den Märkten, doch werden damit die Risiken, die aus einem überzogenen privaten und staatlichen Konsum der unsoliden Länder entstanden sind, den soliden Ländern aufgebürdet. Letztlich müssen sie nun an die Stelle der bisherigen Gläubiger der Schuldenländer treten und versuchen, die säumigen Schulden einzutreiben. Streit und Zwietracht zwischen den Völkern Europas sind auf diese Weise programmiert. Die Bundesrepublik Deutschland sollte sich daraus so weit wie möglich heraushalten. 
 
14. Beruhigung der Kapitalmärkte oder der Bürger? 
Viele Bürger misstrauen einer Politik, die ihre Versprechungen und Ankündigungen in immer kürzeren Zeitabständen revidiert und das Maß für die Dinge zu verlieren droht. Wir übersehen nicht, dass die deutsche Politik gegenüber dem geballten Interesse der internationalen Finanzmärkte und der Schuldenstaaten einen schweren Stand hat. Aber wir verlangen von ihr eine vorurteilslose Diskussion der verschiedenen noch möglichen Wege und auch die Größe, bisherige Fehler und Fehleinschätzungen offen einzugestehen. Wenn man einen falschen Weg genommen hat und sieht, dass man dem Ziel nicht näher kommt, muss man innehalten, ein Stück zurückgehen und dann einen neuen Weg beschreiten. Es macht dann keinen Sinn, noch beherzter voranzuschreiten.Eine Fortführung der bisherigen Politik wird Deutschland überfordern und ärmer machen, gerade auch, wenn es ihr gelingen sollte, die Kapitalanleger zu beruhigen, indem sie ihnen ihre toxischen Staatspapiere abnimmt. Sie verlagert die Lasten auf unsere Kinder und verringert ihre Möglichkeiten, in wirtschaftlicher Prosperität und sozialem Frieden zu leben. 
 
15. Institutionelle Schuldenschranken 
Die Politik hofft, dass sich Schuldendisziplin auch im Falle einer gemeinschaftlichen Haftung für die Schulden durch politische Schuldenschranken im Zuge einer Fiskalunion erreichen lässt. Nach den Erfahrungen mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt halten wir diese Hoffnung für verfehlt.Politische Schuldenschranken sind zwar nicht schädlich. Doch ist die Zeit, als es darum ging, übermütige Gläubiger und Schuldner zu bändigen, lange vorbei. Die Kapitalmärkte sind heute ohnehin nicht mehr bereit, alle Finanzierungswünsche der Krisenländer zu erfüllen, und deshalb kommt der ausländische Kredit im Wesentlichen über die Instrumente der Gemeinschaftsfinanzierung zustande. Um bei solchen Verhältnissen Schuldendisziplin einzufordern, benötigt man keine politischen Schranken, an deren Definition die Kreditnehmer selbst mitwirken. Vielmehr reicht die Begrenzung der Kreditvergabe durch die öffentlichen Gläubiger vollkommen aus.Eine Fiskalunion mit verbesserten Eingriffsrechten der EU oder zwischenstaatlichen Instanzen wird, so befürchten wir, das Gegenteil von dem bewirken, was die Bundesregierung bezweckt. Sie wird die Kreditvergabe zwischen den Staaten eher erleichtern, wenn nicht sogar steigern, weil sie den Defizitländern die politische Mitsprache beim Zugriff auf die Kredite des Rettungsfonds gibt. 
 
16. Zu viel Wettbewerbsfähigkeit? 
Als besonders problematisch sehen wir es in diesem Zusammenhang an, dass die EU die Lohnstückkosten der europäischen Länder durch Politikmaßnahmen beeinflussen will. Die damalige französische Finanzministerin Christine Lagarde hatte ja schon im letzten Jahr gefordert, dass Deutschland seine Löhne erhöhen möge, um so seine Wettbewerbsfähigkeit zugunsten seiner Wettbewerber zu verschlechtern. Die zunächst vorgesehenen Strafen der EU für Länder, die zu geringe Lohnstückkosten haben, hat die Bundesregierung zwar abwehren können, doch stehen die Kritik an der angeblich ungerechtfertigten Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sowie der Versuch, sie durch oktroyierte Lohnerhöhungen zu verringern, im Raum. Wir lehnen diese Überlegungen ab. Es ist grundsätzlich nicht Aufgabe des Staates, in die Preis- und Lohnstrukturen der Marktwirtschaft einzugreifen, weil dadurch die Lenkungsfunktion der Preise und Löhne verfälscht wird.Die Orientierung der Politik an Lohnstückkosten verkennt auch, dass die Unterschiede in den Lohnstückkosten in Europa großenteils durch Kapitalbewegungen zustande kamen, die, wie erläutert, ihrerseits das Ergebnis der durch falsche Erwartungen und eine falsche Bankenregulierung erzeugten Zinskonvergenz waren. Wenn man die Lohnstückkostenunterschiede verringern will, muss man zulassen, dass die Krisenländer sich verbilligen. Damit das passiert, darf man aber den Kapitalfluss zwischen den Ländern nicht durch überzogene Rettungsaktionen und gemeinschaftlich besicherte Finanzierungsinstrumente fördern, die in den Zustand der Zinsgleichheit zurückführen und damit die Wachstumskräfte abermals von Deutschland in die Peripherie verlagern. Wenn man will, dass Deutschland mehr und die Südländer weniger importieren, darf man die Selbstkorrektur des europäischen Kapitalmarktes, die nach der Krise eingesetzt hat, indem wieder mehr Kapital in Deutschland investiert wird, nicht abblocken. Wer das Kapital, das aus freien Stücken nicht mehr aus Deutschland heraus will, durch staatliche Maßnahmen heraustreibt, erhält die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte in Europa.Durch politische Maßnahmen erzwungene Lohnerhöhungen werden zwar den deutschen Export schwächen, doch werden sie auf dem Wege über eine Schwächung, wenn nicht Kontraktion der deutschen Wirtschaft auch die Importe verringern, so dass nicht einmal zu erwarten ist, dass der deutsche Exportüberschuss abgebaut werden kann. Was die anderen Länder an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen, könnte ihnen durch die Verminderung der deutschen Nachfrage nach ihren Produkten verlorengehen. 
 
17. Eine Agenda-Liste 
Nur die Bekämpfung der eigentlichen volkswirtschaftlichen Ursachen kann eine Lösung der Krise bringen. Nur die Symptome der Krankheit zu kurieren ist sinnlos. Da es politisch kein Zurück zum völligen Ausschluss gegenseitiger Haftungen mehr gibt, muss auf jeden Fall Folgendes erreicht werden. a) Die EZB wird wieder auf die reine Geldpolitik beschränkt. Sie kann in Europa nicht die Aufgabe übernehmen, die nationalen Bankensysteme oder gar die Staaten zu stabilisieren. Das ist ausschließlich die Aufgabe der Einzelstaaten beziehungsweise der Staatengemeinschaft selbst. Solange die EZB durch ihre Politik fiskalische und sonstige Lasten zwischen den Staaten verschieben kann, unterminiert und präjudiziert sie die Entscheidungen der Parlamente. b) Die Entscheidungsregeln und die Verteilung der Stimmrechte im EZB-Rat sind zu ändern. Es geht nicht an, dass ein Gremium, in dem die Stimmrechte vollständig von der Haftung entkoppelt sind, mit einfacher Mehrheit Maßnahmen beschließt, die Deutschland Haftungsrisiken von hunderten von Milliarden Euro aufbürden.c) Die Target-Verrechnungssalden zwischen den nationalen Notenbanken müssen ab sofort jährlich durch marktfähige Vermögenswerte wie in den USA ausgeglichen werden, um sicherzustellen, dass die Notenpresse in den nationalen Zentralbanken mittelfristig nur in dem Maße in Anspruch genommen wird, wie es für die jeweilige nationale Geldversorgung notwendig ist. Für bisher aufgelaufene Salden ist eine längerfristige Tilgung vorzusehen. Wenn der einfache Zugriff auf die Notenpresse nicht abgeblockt wird, ist der Weg in die Eurobonds und eine Transferunion vorbestimmt. d) Eine klar definierte Abfolge von Hilfen und Maßnahmen nach dem Vorschlag der European Economic Advisory Group ist zwischen den Eurostaaten vertraglich festzulegen. Wenn ein Land außerstande ist, fällig gewordene Staatspapiere zu bezahlen, müssen zunächst die Investoren haften. Die Staatengemeinschaft darf nur zur Vermeidung exzessiver Risiken herangezogen wird, und auch dieser Schutz ist auf einen bestimmten Anteil des BIP zu begrenzen. Nur so lässt sich der Anreiz zur Sorgfalt mit dem Ziel verbinden, im Krisenfall eine Panik der Märkte zu verhindern.  e) Die EU sollte den bedrängten Ländern bei der Überwindung ihrer Wettbewerbsprobleme helfen und ihnen Perspektiven für eine wirtschaftliche Gesundung eröffnen. Dazu gehören Hilfen für den Aufbau einer Steuerverwaltung und eines funktionierenden Rechtssystems genauso wie Maßnahmen, die die jeweiligen Regierungen dabei unterstützen, Staatsvermögen zu privatisieren und Reformen zur Erhöhung der Lohn- und Preisflexibilität durchzusetzen. Gemeinschaftliche Hilfen, die über die in Punkt d) genannten Hilfen hinausgehen, sind indes nicht zielführend, weil sie eine Abhängigkeit von solchen Hilfen und einen Automatismus erzeugen, dem sich die Geberländer nicht mehr entziehen können. f) Die Banken müssen ausreichend Eigenkapital vorhalten, um nicht bei größeren Kreditausfällen staatlicher und privater Schuldner in eine Schieflage zu geraten. Sonst können die Banken die Staaten weiterhin de facto erpressen, ihnen zu helfen, um die volkswirtschaftlichen Kosten eines Zusammenbruchs des Bankensystems zu vermeiden. Eine höhere Eigenkapitalausstattung vermindert den Anreiz zur Spekulation, und sie schafft im Krisenfall einen Puffer, der Verluste auffangen kann. Auch Staatspapiere und Kredite an andere Banken sind ausfallbehaftet und müssen je nach der Höhe des länderspezifischen Risikos mittelfristig mit Eigenkapital unterlegt werden, wie es bei Krediten an normale mittelständische Firmen üblich ist. Das verteuert den Staatskredit und den Interbankenhandel, ist aber notwendig, um das Bankensystem und die Staaten zu stabilisieren. Soweit sich die Banken das notwendige Eigenkapital nicht auf den Märkten beschaffen können, ist eine staatliche Zwangsrekapitalisierung durch Ausgabe von Aktien oder ähnliche Maßnahmen vorzusehen, um einerseits eine Kreditklemme zu vermeiden und andererseits dem Staat die Chance zu geben, an einer eventuellen Wertsteigerung der Banken teilzuhaben. g) Euroländern, die dauerhaft nicht willens oder objektiv nicht in der Lage sind, die notwendigen Maßnahmen zum Abbau der Ungleichgewichte und der Verschuldung vorzunehmen, ist die Möglichkeit einzuräumen, aus der Eurozone auszutreten und in den Status der anderen, nicht der Eurozone angehörigen EU-Mitgliedsländer zurückzukehren. Der Austritt aus der Eurozone ist im Falle eines Staatsbankrotts als Regel vorzusehen. Die entsprechenden Verfahren sind in den Verträgen festzulegen. Nur eine Währungsunion, die ein freiwilliger Staatenbund unter Respekt der gegenseitig gegebenen Regeln bleibt, hat dauerhaft Bestand. Die Unterzeichner:
  • Prof. Dr. h.c. Roland Berger, Vorsitzender der Freundesgesellschaft des Ifo Instituts, Honorary Chairman, Roland Berger Strategy Consultants GmbH
  • Dr. Aldo Belloni, Stellv. Vorsitzender, Mitglied des Vorstands, Linde AG
  • Dr. Wolfgang Sprißler, Schatzmeister, ehemaliger Vorstandssprecher, HVB
  • Dr. Eckhard Cordes, Vorstandsvorsitzender, Metro AG
  • Dr. Jürgen Hofmann, Generalsekretär, Wirtschaftsbeirat Bayern
  • Dr. Dirk Ippen, Zeitungsverleger, u. a. Münchner Merkur
  • Dr. Fritz Kempter, Rechtsanwalt, Präsident des Verbands Freier Berufe in Bayern e.V.
  • Meinhard Knoche, Mitglied des Vorstands, ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung
  • Michael Kozikowski, Mitglied des Vorstands, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
  • Prof. Dr. Klaus Mangold, Internationale Wirtschaftsberatungsgesellschaft mbH
  • Prof. Dr. Georg Milbradt, Sächsischer Ministerpräsident a.D., TU Dresden
  • Alexander Rittweger, Geschäftsführer, Loyalty Partner GmbH
  • Dirk Roßmann, Geschäftsführer, Dirk Rossmann GmbH
  • Dr. Dieter Soltmann, ehem. Präsident des Wirtschaftsbeirates der Union
  • Prof. Dr. Dres. h.c. Hans-Werner Sinn, Präsident, ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und LMU München
  • Heinz Hermann Thiele, Vorsitzender des Aufsichtsrats, Knorr-Bremse AG
  • Dr. Peter-Alexander Wacker, Vorsitzender des Aufsichtsrats, Wacker Chemie AG
  • Georg von Werz, Vorstandsvorsitzender, Pramerica Real Estate International AG
  • Dr. Otto Wiesheu, Präsident, Wirtschaftsbeirat Bayern
  • Dr.-Ing. E.h. Manfred Wittenstein, Vorstandsvorsitzender, Wittenstein AG
  • Ewald Woste, Vorstandsvorsitzender, Thüga AG
07. Dezember 2011
Bogenberger Erklärung [PM] [PDF] der Freundesgesellschaft des ifo Instituts und des Vorstands des ifo Instituts (PDF auch im Anhang)

Mittwoch, 7. Dezember 2011

Friedrich der Große war der erste absolute Monarch Europas, der die Zensur weitgehend zähmte

Zensur oder Pressefreiheit – Fried­rich der Große, dessen 300. Geburtstag wir in wenigen Wochen feiern, beantwortete die Frage auf seine Weise: Er gestaltete die damals übliche Zensur so, daß sie ein für seine Zeit höchst unübliches Maß an Pressefreiheit ermöglichte.

„Dem hiesigen Berlinischen Zeitungsschreiber (soll) eine unbeschränkte Freiheit gelassen werden zu schreiben, was er will, ohne dass solches zensiert werden soll.“ Mit dieser knappen Dienstanweisung überraschte der junge Preußenkönig am sechsten Tag seiner Regentschaft, also am 5. Juni 1740, seinen „Wirklichen Geheimen Staatsminister“ Heinrich von Podewils. Damit war die Zensur in Preußen zwar nicht gänzlich abgeschafft, der königliche Befehl bezog sich auf den nichtpolitischen Teil der Zeitungen. Aber es war ein erster wichtiger Schritt in Richtung Presse- und Meinungsfreiheit, ganz im Geiste der Aufklärung, die Friedrichs Denken und Handeln bestimmte.

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“, postulierte der große Königsberger Philosoph Immanuel Kant und forderte, der Mensch solle „sich unabhängig von Vorurteil, Tradition und Offenbarung seines eigenen natürlichen Verstandes bedienen“. Dass der Mensch dies nur kann, wenn er freien Zugang zu Wissen und Informationen hat und sich frei von staatlichem oder sonstigem institutionellen Zwang seine Meinung bilden kann, ergibt sich geradezu zwangsläufig aus diesem Kant'schen Postulat.

Preußen hatte in jener Zeit doppeltes Glück: In Kant hatte es einen Denker, der fähig war, eine den strengen Gesetzen der reinen Vernunft genügende Sittenlehre allgemeinverständlich zu formulieren. Und in Friedrich II. hatte es eine wahrhaft große Herrscherpersönlichkeit, unter der sich der Geist der Aufklärung relativ ungehindert entfalten konnte.

Geradezu verblüffend ist die Tatsache, daß dies möglich war, obwohl es eine gut organisierte staatliche Zensur gab. Unter Fried­rich dem Großen wurde sie zwar betont milde gehandhabt, was sich schon aus den hinlänglich bekannten Toleranzvorstellungen des Königs in Religionsfragen ergab. Aber es gab sie, diese Zensur! Wer etwas Gedrucktes publizieren wollte, wußte genau, welchen Kontrollen seine Texte unterlagen, wo Grenzen gezogen waren und mit welchen Konsequenzen er zu rechnen hatte, wenn er diese Grenzen überschritt.

Aus heutiger Sicht ist man geneigt, diesen Zustand als unvereinbar mit Meinungs- und Pressefreiheit zu bewerten. Offenbar ist man heute allzu sehr darauf fixiert, solche Freiheiten überhaupt nur da für möglich zu halten, wo Zensur „nicht stattfindet“ – oder zumindest laut Grundgesetz nicht stattfinden sollte.

Über lange Phasen der Geschichte Preußens diente die Zensur aber nicht der Verhinderung oder Einschränkung von Meinungs- und Pressefreiheit, sondern der Kanalisierung. Sie schuf einen klar definierten und unmissverständlich formulierten Rechtsrahmen, schuf also Rechtssicherheit und muss unter diesem Aspekt als Instrument der Rechtsstaatlichkeit bezeichnet werden.

Deren Basis war das typisch preußische Freiheitsverständnis: Freiheit nicht als absoluter, von allem anderen isolierter Selbstzweck, sondern als eine Größe, die sich nur dann für das Gemeinwohl segensreich entfalten kann, wenn sie an Verantwortung gebunden ist. Freiheit mußte stets ein Ziel haben, und das Ziel galt nur als akzeptabel, wenn es auf das Gemeinwohl ebenso Rück­sicht nahm wie auf die Freiheit und Menschenwürde anderer.

Dieser Freiheitsbegriff prägte auch den Umgang Friedrichs mit den Medien. Exzessive öffentliche Ehrverletzungen gab es unter seiner Regentschaft nicht.

Heute sehen die Medien sich gern als selbsternannte „Vierte Gewalt“. Sie begnügen sich nicht damit, über Politik zu informieren – sie maßen sich an, selber Politik zu machen. Vor allem die mit Kamera und Mikrophon „bewaffneten“ Vertreter dieser „Vierten Gewalt“ sehen sich letzten Endes als „Erste Gewalt“, die über allen anderen steht; sie gerieren sich als Ermittler, Ankläger, Richter und Henker in einer Person.

Im Preußen Friedrichs des Großen hingegen waren die Medien ein wichtiges Instrument des politischen Meinungsstreits und der öffentlichen Willensbildung. Gesetze und Verordnungen sowie die auf ihrer Basis tätigen Zensurbehörden setzten den rechtsstaatlichen Rahmen, innerhalb dessen sich Meinungs- und Pressefreiheit entfalten konnte. Diese wohl ausgewogene Rechtssicherheit ist vor allem Friedrich II. zu verdanken.

So mündet der Vergleich zwischen dem damaligen Preußen und dem heutigen Deutschland in die Feststellung: Damals gab es eine Zensur, die aber die Entfaltung von Meinungs- und Pressefreiheit nicht nachhaltig verhindern konnte (und meist auch gar nicht sollte). Heute hingegen findet laut Grundgesetz keine Zensur statt; in Wirklichkeit aber wurde sie nicht abgeschafft, sondern umbenannt – sie heißt nun „political correctness“. 

Hans-Jürgen Mahlitz

Dienstag, 30. August 2011

Kronprinz Georg Friedrich von Preußen traut Prinzessin Sophie von Isenburg

Nach der standesamtlichen Trauung am vergangenen Donnerstag (25. August) sagten Georg Friedrich von Preußen und Sophie von Isenburg am Samstag (27. August) auch vor Gott "Ja". Die Zeremonie fand in der Potsdamer Friedenskirche statt. Bereits Stunden vor der Hochzeit säumten zahlreiche Schaulustige die abgesperrte Allee zum Gotteshaus, um einen Blick auf das Brautpaar zu erhaschen.

Unter dem Jubel Hunderter Zaungäste fuhr das Paar in einem von sechs Pferden gezogenen Landauer. Pünktlich um zwölf Uhr fuhr die Braut dann endlich in einem grauen Rolls-Royce mit schwedischem Kennzeichen vor, den ein Freund der Familie zur Verfügung gestellt hatte. Zuvor war der Bräutigam zu Fuß mit seiner Mutter Donata Gräfin zu Castell Rüdenhausen und seiner Schwester Cornelie-Cécile, die seit ihrer Geburt behindert ist, zur Friedenskirche gelaufen. Und tatsächlich: Die zurückhaltenden Preußen kamen ein wenig aus sich heraus und spendeten Beifall, manche schwenkten Fähnchen mit dem Preußen-Wappen oder äußerten enttäuscht, daß sie von der Braut so wenig zu sehen bekamen.

Als die Glocken der Friedenskirche läuteten und die Fanfaren erklangen, wurde Prinzessin Sophie von ihrem Vater Franz Alexander Fürst von Isenburg in die mit blauem Rittersporn, Hortensien und weißen Gladiolen geschmückten Friedenskirche geleitet, im Haar trug sie ein Familien-Diadem von 1860. Während der rund eineinhalb Stunden dauernden ökumenischen Trauung, die vom evangelischen Pfarrer Michael Wohlrab und dem katholischen Abt Georg Graf Henckel zu Donnersmarck, ein Onkel des Regisseurs Florian Henckel zu Donnersmarck, durchgeführt wurde, faßte sich das Paar immer wieder an den Händen, lächelte sich glücklich an. Pastor Wohlrab lobte die Offenheit und Toleranz des Hauses Preußen sowie den großen Familienzusammenhalt der Isenburgs: "Das macht die beiden zu einem starken Paar." Der Abt verlas einen Brief von Papst Benedikt XVI., der dem Paar von Herzen Glück wünschte.
Unter dem Jubel Hunderter Zaungäste fuhr das Paar in einem von sechs Pferden gezogenen Landauer.
Als Prinz Georg Friedrich und Prinzessin Sophie die Kirche verließen, kam auch die schaulustige Menge auf ihre Kosten. Nach zwei Küssen fuhr das Paar unter dem Jubel hunderter Zaungäste in einem von sechs Pferden gezogenen Landauer zum Empfang in den "Neuen Kammern" neben dem Schloß Sanssouci. Die Menschen riefen "Bravo, Bravo", einige warfen Rosen und liefen neben der Kutsche her. Prinz und Prinzessin wirkten gelöst und glücklich, lachten, bedankten sich und legten ihre preußische Zurückhaltung für ein paar Momente ab.

Nach den Feierlichkeiten wartete schon das nächste Highlight auf Prinz Georg Friedrich und Sophie: Die Frischvermählten flogen nach Südfrankreich, um dort ihre Flitterwochen zu verbringen.

Dem Sender RBB, der die Hochzeit live übertrug, hatte das Paar zuvor geschildert, wie es sich die gemeinsame Zukunft vorstellt: "Ich brauche kein Schloss", sagte Prinz Georg Friedrich, und die Prinzessin ergänzte, sie freue sich auf Kinder: "Zum Familienleben gehört dazu, dass ein bisschen Trubel ist". Das ist wohl angesichts derartiger Begeisterung für das Paar zumindest für diesen Tag mit der nötigen preußischen Zurückhaltung herrlich untertrieben. Gemeinsam werden sie uns sicher noch viele schöne Eindrücke und hoffentlich auch Anlässe zum Feiern geben.

Sandra Reitz/aze
Gala.de

 

Freitag, 26. August 2011

Kampfansage an die Republik

Hochzeit im Hause Hohenzollern: Warum Deutschland wieder zur Monarchie zurückkehren sollte

Eigentlich ist die Hochzeit des Chefs des Hauses Hohenzol- lern, Prinz Georg Friedrich von Preußen (Porträt Seite 3),mit Prinzessin Sophie zu Isenburg an diesem Sonnabend in Potsdam nicht mehr als eine Meldung aus der Rubrik „Vermischtes“.
S.K.H. Kronprinz Georg Friedrich

Doch angesichts der Familienge- schichte des Bräutigams erscheint es reizvoll, das Ereignis einmal aus einem etwas radikaleren Blickwinkel zu betrachten. Und dann wird aus der Hochzeit schnell eine subtile Kampfansage an die Republik. Denn strenggenommen senden die beiden Adligen mit ihrer in aller Öffentlichkeit und vom Fernsehen übertragenen Hochzeit ein Signal aus, das geeignet ist, die Axt an die bundesrepu- blikanische Ordnung zu legen.

Hochzeiten in Monarchien, zumal die der Thronfolger, sind immer auch Staatsakte. Sie sollen mit ihrem bewußt zur Schau getragenen Pomp Zeugnis ablegen von der Vitalität und Zukunftsfähigkeit des Herrscherhauses und damit dessen Macht sichern und festigen. Hochzeiten ehemals regierender Häuser können dementsprechend als Zeichen an die neuen Machthaber gelesen werden: Seht her, uns gibt es noch, ihr müßt mit uns rechnen, wir geben unseren Anspruch nicht auf.

Natürlich liegen den Brautleuten diese Gedanken fern, wenn sie am Wochenende in der Potsdamer Friedenskirche zum Traualtar schreiten. Doch wissen sie als historisch gebildete Menschen aus Familien, die es gewohnt sind, in Jahrhunderten zu denken, um diese geschichtliche Aufladung ihrer Hochzeit. Nicht ohne Grund wurde Potsdam als Ort der Trauung ausgewählt. Durch die Heirat ihres Familienoberhauptes in der alten, vierzig Jahre vom kommunistischen Regime ausgezehrten Residenzstadt kehrt das Haus Hohenzollern gleichsam in die Geschichte zurück und erinnert – ob gewollt oder ungewollt – an seine historischen Ansprüche.

Nun hat sich allerdings das politische System der Bundesrepublik trotz mancher Unkenrufe in den vergangenen sechzig Jahren als äußerst stabil erwiesen. Über eine Revolution oder gar einen monarchistischen Umsturz muß man sich im Bundeskanzleramt und im Schloß Bellevue bislang keine Gedanken machen. In Deutschland ist die 1918 untergegangene Monarchie zudem im Bewußtsein des Volkes kaum mehr als eine blasse Erinnerung. Im Gegensatz etwa zu Frank- reich, das trotz seiner revolutionär-republikanischen Tradition bis in unsere Tage immer auch über eine royalistische Gegenbewegung verfügte, gibt es in Deutschland abgesehen von einigen verprengten Traditionsvereinen nichts vergleichbares. Die Verschwörer des 20. Juli 1944 stellten zum letzten Mal konkrete Überlegungen für ein monarchisch verfaßtes Staatswesen an. Die Rückkehr der Hohenzollern auf den Thron wäre bei einem Gelingen der Umsturzpläne durchaus realistisch gewesen.

Seitdem macht die politische Rechte in Deutschland einen großen Bogen um dieses Thema. Wenn überhaupt über eine alternative Staatsordnung nachgedacht wird, verlieren sich diese Überlegungen zumeist in ständisch-autoritären Konzepten aus den zwanziger Jahren oder dem unvermeidlichen Führerstaat nationalsozialistischer Prägung. Die Monarchie ist dagegen längst im Museum gelandet und bietet bestenfalls Stoff für sentimentale Schwärmereien. Dabei scheint es angesichts der sich durch die verstetigende Euro-Krise abzeichnenden Auszehrung der Legitimität des politischen Systems dringender denn je, sich nach einer Alternative umzuschauen.

Aus konservativer Sicht kann dies nur die Neuauflage der Monarchie sein. Bereits
1990 schrieb der konservative Publizist Casper von Schrenck-Notzing von der
Monarchie als der „postmodernen Staatsform“, deren anzustrebende Wiederer-
richtung er als „Schlußstein der wiedergewonnenen Souveränität“ Deutschlands empfahl. Und in der Tat garantiert die Monarchie wie keine andere Regierungsform die staatliche Kontinuität über die Zeitläufte hinweg und ist damit im höchsten Maße identitätsstiftend. Mit der notwendigen Autorität und wirkungsvollen Einflußmöglichkeiten ausgestattet, eignet sich der Monarch, der stets das große Ganze im Blick hat, bestens für die Rolle des aus- gleichenden Mittlers und als Korrektiv im alltäglichen Streit der Pateien und Interessenverbände.

Der in den Vereinigten Staaten lehrende Wirtschaftswissenschaftler Hans-Hermann Hoppe hat dies in seinem Buch „Demokratie. Der Gott der keiner ist“ treffend auf den Punkt gebracht. Er sieht den Vorteil der klassischen Mon- archie darin, daß sich der Herrscher als Privateigentümer des Landes um die langfristige Wertsteigerung bemühen muß, während in der Demokratie kurzfristige Überlegungen der Entscheider die Oberhand gewinnen, da sie kein Privatinteresse mehr an dem Staatswesen haben und dieses keinen leiblichen Erben hinterlassen. Es scheint angesichts der Leichtfertigkeit, mit der deutsche Politiker derzeit Verpflichtungen in Milliardenhöhe eingehen und damit künftige Generationen bis über die Schmerzgrenze hinaus belasten, als wollten sie diese Analyse kraftvoll bestätigen.

Die Monarchie kann dagegen geradezu als nachhaltige Regierungsform betrachtet werden, wie übrigens auch ein Blick auf die Revolten und Revolutionen in Arabien zeigt. Alle Länder, in denen es bislang zu Revolutionen und Umstürzen gekommen ist, waren Republiken. In den Königreichen Marokko und Jordanien dagegen führten die Proteste, die sich nie direkt gegen die Herrscher richteten, zur Einleitung von politischen Reformen. Ganz offensichtlich garan- tieren die Monarchien hier ganz im konservativen Sinne den Bestand einer stabilen Staatlichkeit langfristig wesentlich besser als die auf Selbstbereicherung spezialisierten Familienclans in Ägypten, Tunesien, Syrien oder Libyen.

Auch wenn es verwegen erscheint, über Szenarien zu spekulieren, die zu einem neuen deutschen Kaiserreich führen könnten, ist es angesichts der Hohenzollernhochzeit in Potsdam auch in Deutschland an der Zeit, die Monarchie aus dem Museum zu holen und sie wieder auf den Boden der staatstheoretischen Diskussion zu stellen. Und sei es nur, um sie nicht länger den bunten Blättern und den Rolf Seelmann-Eggeberts dieser Welt zu überlassen.


MARCUS SCHMIDT
Junge Freiheit 35/11



Ein Jahr danach: Sarrazin zieht Bilanz

BERLIN. Ein Jahr nach der Veröffentlichung seines Buches „Deutschland schafft sich ab“ hat der frühere Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) Bilanz gezogen. Er habe als Autor mehr bewirken können als dies als einfacher Bundesbankvorstand möglich gewesen wäre. „Wenn die Aufgabe des Amtes bei der Bundesbank der politische Preis war, dann war es ein guter Tausch“, sagte Sarrazin der Bild. 

Positiv überrascht habe ihn auch der große emotionale Zuspruch in vielen Bevölkerungsgruppen. Dagegen habe ihn die Kritik der „intellektuellen Kreise“, die seine Aussagen verfälscht und versucht hätten, ihn als „engstirnigen Rentner“ zu diffamieren, schwer enttäuscht, betonte der 66jährige. 

Dies gelte auch für die ihn kritisierenden Journalisten, die zu 70 bis 90 Prozent sein Buch nie aufgeschlagen hätten. Besonders ärgere ihn bis heute das „geistigen Desinteresse der Regierenden. Ob SPD in Berlin, ob Bundeskanzlerin oder Union.“ 

Wie in Sowjetzeiten
 
Angesichts der massiven Kritik an seinen Aussagen habe er jetzt jedoch verstanden, wie „die Sowjetunion der Stalinzeit ihre Gefangenen umgedreht und sie zu falschen Geständnissen gezwungen hat“. Wenn Menschen nur lang genug isoliert und bestimmten Vorwürfen ausgesetzt seien, geständen sie am Ende die verrücktesten Dinge, sagte Sarrazin der Zeit

Dem großen Druck habe er selbst nur standgehalten, weil er über eine Vielzahl an Unterstützern verfügte. „Ich habe immer wieder geprüft: Wo hat mich jemand bei einem gedanklichen Fehler erwischt? Wo habe ich in der Sache geirrt? Das ist nicht passiert.“ 

Verwundert reagierte der Sozialdemokrat auf eine Umfrage der INFO Unternehmensgruppe, nach der 40 Prozent der ausländischstämmigen Befragten angaben, seinen Namen noch nie gehört zu haben. „Eine Debatte, die sich ganz wesentlich um sie drehte, ist einfach an ihnen vorbeigegangen.“ (ho) 

Dienstag, 1. März 2011

Des Freiherrn Einsamkeit inmitten des kommunistischen Agit-Props

Die Hetzkampagne gegen den jetzt zurückgetretenen Bundesverteidigungsminister Freiherr Theodor zu Guttenberg ist schon ein starkes Stück an sich selbst übertreffender Heuchelei eines politisch-moralisch heruntergekommenen Landes.

Der glänzende westdeutsche Politiker war eine ernste Gefahr für die Hegemonie des sowjetischen U-Bootes, das im Dienst der Agit-Prop-Praktiken des SED-Regimes alles daransetzt, nicht nur die einst konservative und erzkatholische Christlich-Demokratische Union zu demontieren, sondern überhaupt alle Macht an sich zu reißen, indem es alle kaltstellt, die das U-Boot irgendwie in den Schatten stellen könnten. So war es mit Friedrich Merz, mit Hohmann und manchen anderen mehr oder weniger leuchtenden Gestalten. Nun ist der Freiherr aus gutbürgerlichem, hochadeligem und kultiviertem Hause an der Reihe, war er doch die offenkundige Alternative zur Zonenkanzlerin.

Kommunistischer Muff
Die dazu notwendigen bolschewistischen Seilschaften haben bestens gearbeitet. Die nach islamistischem Muster inszenierte orwell'sche Haßsitzung vor dem Ministerium, das mit alten Schweißstiefeln des kommunistischen Mobs zugehängt wurde, hat zudem ihren Zweck erfüllt. Der durchlauchtigste Freiherr wurde Opfer des proletarischen Pöbels und warf das Handtuch, alleingelassen von seinem Doktorrabenvater und seiner eigenen Partei. Seit das U-Boot in westlichen Hoheitsgebieten umherpatrouilliert, hat das ganze christ- und islamistisch-demokratische Parteivolk der neuen Führerin des Weltfriedens den Geist und eventuelle Mutreserven aufgegeben.

Kolossal gelungen ist die ganze Verunglimpfung des einst strahlenden westdeutschen Bundesministers aufgrund seines Doktortitels, den er angeblich mit einer Doktorarbeit erworben hat, die als Plagiat bezeichnet worden ist, obwohl doch Doktorarbeiten insbesondere in humanistischen Wissenschaften nichts anderes sein können als Sammlungen von Zitaten, Statistiken, Doktrin und zusammenfassenden und aufarbeitenden Kommentaren. Streng genommen gibt es wohl außerhalb der Naturwissenschaften, wenn aber auch bei diesen, kaum Themata, die zu neuen und neuesten Erkenntnisssen führen. Die ganze Affäre erinnert mehr an die Haßdemonstrationen, die das islamistisch-iranische totalitäre Regime der Ayatollahs einst gegen Salman Rushdy auffahren ließ, als dieser die Satanischen Verse veröffentlichte, die in Persien doch so gar keiner gelesen haben konnte; doch das gesamte Volk, so schien es, war zutiefst empört über die Blasphemie des indisch-britischen Schriftstellers. Auch erinnert die ganze Inszenierung an die Haßdemonstrantionen in den arabischen Ländern gegen die Karikaturen eines Dänen und gegen Dänemark mit der Flagge mit christlichem Kreuz, O Frevel, ohnehin, wo doch so gut wie gar keiner der phanatischen Demonstranten diese Karikaturen überhaupt gesehen haben konnte.

Doktorandenrabenvater
Hauptverantwortlich für den Doktortitel cum laude sind doch wohl eher die Professoren, die den Prüfungsausschuß bildeten, und allen voran der Doktorrabenvater, der jetzt feige gegen den Freiherrn zu Guttenberg hetzt. Sie sind es, die schon seinerzeit hätten feststellen müssen, daß die Doktorarbeit nicht ordnungsgemäß war - und sie war es dann vielleicht doch nach Ansicht des Prüfungsausschusses. Man kann nicht den Doktoranden für eine mutmaßlich fachlich nachlässige Beurteilung durch die Prüfer verantwortlich machen, noch dazu, wenn man ihm ein "summa cum laude" erteilte. Waren die Herrn Professoren denn etwa besoffen? Oder waren die Herren gar gekauft worden? Bekanntlich lassen sich viele Wissenschaftler kaufen, je nach dem, wer welche "wissenschaftlichen" Expertisen braucht und was er dafür locker macht. Und außerdem sind Doktorarbeiten keine Unikate, sondern Sammlungen von Zitaten, Quellen, Statistiken usw., die vom Doktoranden letztlich nur aufgearbeitet werden, um seine Thesen zu untermauern. Der ganze Agit-Prop ist doch sehr FDJ-verdächtig, würde ich sagen. Die Zonenkanzlerin braucht keine Sterne, sie ist selber einer, der, wenn allein in weiter Flur, am besten leuchtet, auch wenn es eine Sparlampe ist.

Und nicht umsonst ist ihr Vorbild Katharina die Große, die so manchen Widersacher aus dem Weg räumte, der ihr nicht in die Pläne paßte. Der Unterschied heute ist, daß solche Machenschaften sutiler ablaufen, aber genauso wirkungsvoll sind.

Wie weit das Volk in der Masse manipulierbar ist, zeigen die Umfragen in der digitalen Presse. Viele scheinen für den Rücktritt zu sein. Was hinter dem ganzen Theater steckt, interessiert wohl wenige. Letztlich sind doch nur verhältnismäßig wenige Bürger über aktuelle Hintergründe im Bilde.  Der Große Bruder läßt grüßen.


Sonntag, 20. Februar 2011

Rebellion am anderen Ende der Welt

Vor 100 Jahren endete auf der Karolineninsel Ponape der Aufstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft in der Südsee

Noch bis vor gut 100 Jahren kannte kaum ein deutscher die Insel Ponape, die seit 1990 Pohnpei heißt. Erst als sich der Stamm der Sokehs vor 100 Jahren gegen die deutsche Kolonialverwaltung erhob, rückte die Karolineninsel in das Blickfeld der deutschen Öffentlichkeit. Am 22. Februar 1911 endete der Aufstand. Damit war zugleich die größte deutsche Militäraktion in der Südsee beendet.

Um ein zusammenhängendes deutsches Kolonialgebiet im Pazifik zu schaffen, kaufte die deutsche Regierung Spanien Anfang 1899 infolge des Us-Amerikanisch-Spanischen Krieges 1998 die Marianen und die Karolinen einschließlich Ponape für 17 Millionen Mark ab. Dank der umsichtigen Politik des Bezirkshauptmanns Albert Hahl verhielten sich die sonst eher widerspenstigen Ponapesen friedlich und kooperativ. Die deutsche Verwaltung vermied es, in die Belange der einheimischen Bevölkerung einzugreifen, so daß sie zunächst kaum Auswirkungen auf deren Alltagsleben hatte.

Dies änderte sich im Jahre 1907, als das Reichskolonialamt anordnete, daß die deutschen Auslandsbesitzungen zukünftig ihren Etat weitgehend selbst erwirtschaften sollten, um von Reichszuschüssen unabhängig zu werden. Das feudalistische Lehenssystem auf Ponape galt als Grund für die geringe Produktivität der Insel.

Deshalb wurde eine Bodenreform angeordnet, die allerdings nur schleppend voranging. Außerdem übten die Ponapesen gegen ihre Beschäftigung im Wegebau, mit dem die unwirtliche Insel erschlossen werden sollte, passiven Widerstand.

Am 17. Oktober 1910 kam es auf dem kleinen, nur durch einen Meeresarm von der Hauptinsel getrennten Eiland Dschokadsch zu einem folgenschweren Zwischenfall. Nachdem der seit Ende 1909 amtierende Bezirkshauptmann Gustav Böder einem jungen Sokeh, der sich bei Straßenarbeiten den Anweisungen des deutschen Aufsehers widersetzt hatte, zehn Stockhiebe hatte verabreichen lassen, legten die Sokehs die Arbeit nieder. Als Boeder von den Ereignissen hörte, ließ er sich nichts Böses ahnend und deshalb unbewaffnet nach Dschokadsch rudern. Er und seine Begleiter wurden niedergemetzelt, ihre Leichen geschändet und ins Meer geworfen.

Als ranghöchster Vertreter des Reiches übernahm der Regierungsarzt Max Girschner das Kommando und ließ Ponapes damalige Hauptstadt Kolonia zur Verteidigung herrichten. Es ge- lang ihm, durch geschickte Verhandlungen die vier anderen ponapesischen Stämme auf seine Seite zu bringen. Die Sokehs allerdings zogen sich auf die schwer zugänglichen Felskuppen in den Bergen zurück und verschanzten sich. Das Reichskolonialamt in Berlin erfuhr erst Ende November von den Vorgängen in der Südseekolonie, nachdem ein Postdampfer die Insel angelaufen hatte. Bis Anfang Januar 1911 trafen fünf Kriegsschiffe zur Durchführung einer Strafexpedition ein.

Der deutsche Angriff begann am 13. Januar mit einem konzentrierten Feuer aus den Schiffsgeschützen. Anschließend konnten die Landungstruppen ohne eigene Verluste einige der Aufständischen gefangen nehmen, aber dem Gros gelang es, sich auf die Hauptinsel abzusetzen. In den darauffolgenden Wochen verfolgten die Deutschen ihre Gegner, die immer wie- der überraschend aus dem Hinterhalt angriffen, über die ganze Insel. Durch die ständige Hatz und den Hun- ger zermürbt, legten immer mehr Rebellen die Waffen nieder und am 22. Februar ergaben sich die letzten Sokehs.

Obwohl die Gefechte auf bei- den Seiten nur geringe Verluste gefordert hatten, wurde in der deutschen Öffentlichkeit der Ruf nach Vergeltung laut. 36 Sokehs, die an der Tötung Boeders und seiner Begleiter beteiligt gewesen waren, wurden in Kolonia vor Gericht gestellt. Während der Verhandlung wurden auch entlastende Momente gewürdigt und den Angeklagten zugestanden, nicht aus niederen Motiven getötet zu haben.

Dennoch sprach das Gericht 17 Todesurteile, wovon allerdings nur 15 durch Erschießen vollstreckt wurden. Zwölf Sokehs wurden zu einer Freiheitsstrafe und Zwangsarbeit verurteilt, sieben freigesprochen. Um weiteren Aufsässigkeiten vorzubeugen, wurden die rund 450 Sokehs auf die 2000 Kilometer entfernten Palau-Inseln umgesiedelt.

Die Verbannung währte allerdings nur kurz, denn im Oktober 1914 besetzten japanische Truppen die deutschen Besitzungen in der Südsee. Die Sokehs, im Exil an Nahrungsmangel und Krankheiten gestorben waren, konnten in ihre Heimat Ponape zurückkehren.

Im Zweiten Weltkrieg wurde die Insel des öfteren vom US-Militär wegen seiner japanischen Stellungen bombardiert oder beschossen. Nach Kriegsende wurde Ponape Teil des Treuhandgebietes Pazifische Inseln der USA. 1986 erlangte die Insel nach 100 Jahren Fremdherrschaft als Hauptinsel der Föderierten Staaten von Mikronesien die Unabhängigkeit.

Jan Heitmann
Preußische Allgemeine Zeitung 07/11