Sonntag, 18. Dezember 2011

König Otto I. von Griechenland und der Undank der Griechen

Drei Jahrzehnte saß ein Wittelsbacher in Athen auf dem Königsthron. Vor fast 150 Jahren aber taten die Griechen das, wovon heute viele von ihnen träumen: Sie jagten die Deutschen aus dem Land. Nur das bayerische Bier blieb

Herbsttage in Athen: Das Kabinett debattiert ergebnislos über die Tilgung der Lasten aus einem internationalen Darlehensvertrag, der vor 30 Jahren abgeschlossen wurde. Griechische Berechnungen ergeben horrende Zinssätze von 56 Prozent. Jeder Minister meldet Sonderwünsche an. Nach wie vor drängen einflussreiche Familien auf gut dotierte Staatsposten für "Protektionskinder". Der Druck ausländischer Mächte nimmt zu. Auch in Italien eskaliert die Situation.


Griechenland 2011? Nein, die Szene beschreibt die letzten Monate des Jahres 1862. Dennoch wirkt die Situation allzu vertraut, mit einer Ausnahme: Italien beging damals gerade die Gründung des Nationalstaates und nicht, wie heute, seine Auflösung. Und noch etwas verbindet den heißen Herbst 1862 mit dem von heute: Es braut sich ein Aufstand gegen die Deutschen zusammen. Seit Sommer 2011 gilt Bundeskanzlerin Angela Merkel auf den Straßen Athens als Unperson. Im Frühjahr 1863 trieb die Empörung über einen deutschstämmigen Politiker die Griechen gar zum Aufstand. Wenige Monate später wurde Otto I. (1815-1867), der erste König des neugriechischen Nationalstaates, aus dem Lande gejagt.

Erste Residenz Ottos I. in Athen

Aus griechischer Perspektive reduzierte sich Deutschland vor 150 Jahren auf Bayern. Denn aus dessen Königshaus stammte Otto. Er war der zweitgeborene Sohn Ludwigs I. von Wittelsbach, eines leidenschaftlichen Philhellenen, der die griechische Revolution gegen die Osmanen mit viel Sympathie, Geld und sogar einer Militärmission unterstützt hatte. Nachdem die Griechen ihren ersten Präsidenten Kapodistrias erschossen hatten, übertrugen die Schutzmächte England, Frankreich und Russland dem noch unmündigen Otto die griechische Krone. Das war 1832. Es folgte ein frühes Experiment westlicher Entwicklungshilfe in einem von mehr als sieben Jahren Krieg und Bürgerkrieg verwüsteten Land.

Otto I. im Exil
Ein Zeitzeuge, der russische Admiral Rikord, notierte: "Es ist merkwürdig zu sehen, wie die Germanen sich in diesem Chaos der griechischen Angelegenheiten an das Werk machen, einen ordentlichen Staat zu schaffen. Nun entsteht die Frage: Ob es ihrer phlegmatischen Ordnung, ihren langsamen Befehlen und immer verspäteten Maßregeln gelingen wird, ... Griechenland einem Systeme zu unterwerfen, dieses Griechenland, dessen einziges System bis jetzt allein der Revolutionsgeist war?"

Tausende bayerischer Beamter, Soldaten und Söldner machten sich ans Werk. Ihr Vorbild war dabei eine absolutistische Erziehungsdiktatur im Sinne von Zar Peter dem Großen. Ihr wichtigstes Feindbild waren weite Teile dessen, was die Revolution als griechische Nation geformt hatte und sich auf keinen gemeinsamen Nenner bringen ließ: reiche Auslandsgriechen etwa, die seit Jahrhunderten in Paris, Wien oder Odessa ansässig waren; die sogenannten Phanarioten, die um den Sitz des Patriarchen in Istanbul wohnten und im Grunde Juniorpartner der Osmanen gewesen waren; Großgrundbesitzer und Warlords, die einander oft nur in Blutrache verbunden waren; global denkende Reeder von den Inseln; charismatische Räuberhäuptlinge und ihr wettergegerbter Anhang; und schließlich eine analphabetische Bevölkerung, die in diesem Hexenkessel ihre Beschützer suchte. Um das Maß vollzumachen, leiteten die Gesandten der drei beteiligten Großmächte auch noch regelrechte Parteien an.

Innerhalb von zwei Jahren bauten die drei Vormünder Ottos - denn bis zu dessen Volljährigkeit Mitte 1835 sollte sein Staat ja fertig sein - eine Verwaltung, ein Schulwesen, ein Rechtssystem, eine Armee, eine Staatskirche, eine Finanzverwaltung auf, verlegten die Hauptstadt von Nafplion nach Athen und richteten sogar ein Übersetzungsbüro mit drei Dolmetschern ein, die die Kommunikation zwischen dem Volk und den Behörden zu gewährleisten hatten, deren Amtssprache die Katharevousa war, eine in Paris geschaffene, am klassischen Griechisch angelehnte Kunstsprache. Die erwähnte Anleihe über 40 Millionen Francs schmolz ebenso schnell dahin wie das Vertrauen der Bevölkerung in die "Bavarokratia". Der erste Aufstand gegen Otto datiert vom Sommer 1834. Er sollte nicht der letzte sein.

Das lag auf der Hand. Schließlich gab es noch Zehntausende Guerillakrieger der Revolution, die sich um den Lohn ihres Kampfes gebracht sahen. Und darunter verstanden sie keineswegs ein Stück Land. Um dem Schicksal eines Bauern und seines niedrigen Prestiges zu entfliehen, waren viele einst in die Berge gegangen. Jetzt forderten sie Anerkennung, durch Renten oder Posten beim Staat. Vor allem jene, die sich für Offiziere hielten, und davon gab es Tausende.

Griechische Nationalversammlunt 1844

Ottos teure Söldner aus Deutschland hatten gegen die ortskundigen Guerillas in den Bergen keine Chance und landeten nicht selten nackt und gebunden in einem Sack, in den man auch noch hungrige Katzen packte. Es war ja nicht so, dass sich mit der Revolution die Griechen nach vierhundertjähriger Osmanenherrschaft umgehend in strahlende Nachfahren eines Aristoteles verwandelt hätten, wie die Philhellenen in ihren biedermeierlichen Cafés meinten. Als Ottos Vormünder eine Guillotine einführten, um die Todesstrafe zu humanisieren, zerschlug das Publikum das teure Gerät. Nicht, weil es für unmenschlich erachtet worden wäre. Einem Griechen stand das Recht zu, erschossen zu werden.

Vieles erschwerte das Verhältnis zwischen Erziehern und Schülern. Die Bayern wurden besser bezahlt, erhielten die guten Posten, kleideten sich westlich und ernährten sich fremd. Bereits 1835 gab es in Athen drei Brauereien, was zu zahlreichen Schlägereien "im bayerischen Suff" führte. An die Armee erging der Befehl, die Kartoffel als Grundnahrungsmittel populär zu machen. Heute kann man sich eine griechische Taverne ohne Patates und Bira (nach deutschem Reinheitsgebot) nicht vorstellen.

Damals sahen die Griechen das anders. Die Guerilla-Offiziere erzwangen schließlich ihre Einstellung in eine "Eliten-Phalanx". Sie ruinierte den Staatshaushalt endgültig und schuf durch Tausende unzufriedene Revolutionssoldaten ein Reservoir für militärische Abenteuer.

Bierbrauerei Fix in Griechenland
Die lagen in der Regel jenseits der Landesgrenzen, welche die Großmächte 1832 eng genug gefasst hatten. Gerade bis zur Linie Arta-Volos reichte Ottos Herrschaft, das Gros der Griechen lebte jenseits. So führten die nun arbeitslosen Krieger einen Guerillakrieg im Norden, um die "megali idea", die große Idee der Griechen, zu verwirklichen: ein Großreich mit der alten byzantinischen Hauptstadt Konstantinopel. Weil diese nationale Aufgabe durch Ottos Regierung aber nicht standesgemäß unterstützt werden konnte - weil wieder einmal ein Staatsbankrott drohte, die Großmächte intervenierten oder sich die Türken als die Stärkeren erwiesen -, fanden die Griechen in ihrem König ein weiteres Feindbild. 1843/44 beendete eine Revolution dessen absolutistisches Regime, 1862 eine andere seine Herrschaft.

Auch damals prägten Korruption, Patronage, marode Staatsfinanzen, aufgeblähte Verwaltungen und eine exorbitante Armee (bei 10 000 Mann verfügte sie über 1000 Offiziere und 70 Generäle) sowie Parteienhader bis zum Bürgerkrieg Griechenlands Bild - und Großmächte, die sich stritten, wer das Land zu neuer Blüte führen solle. Ämter galten nicht als Dienst am Staat, sondern als "Anteil am öffentlichen Einkommen", wie ein Beobachter bemerkte: "Jedes Amt soll zur reichen Quelle des Gewinns werden."

Otto, 1862 gerade einmal 47 Jahre alt, und seine Frau Amalie waren kinderlos geblieben. Sie versprachen keine Erhöhung der Einnahmen, aus denen sich neue Pfründen generieren ließen. Spätestens als England und Frankreich verhinderten, dass Griechenland im Krimkrieg 1853 gegen die Türken an der Seite Russlands zu Felde zog, stand sein Königtum auf tönernen Füßen. Immer weniger konnte er den Unmut seiner Untertanen gegen den osmanischen Erbfeind ableiten. Der patriotische Enthusiasmus wurde zu "Champagner, aus dem die Kohlensäure verrauscht ist", schrieb ein Zeitzeuge. Die verkaterten Griechen rächten sich bitter an ihrem König.

Otto (1815-1867), nachgeborener Sohn von König Ludwig I. von Bayern, erhielt 1832 von den Großmächten England, Frankreich und Russland die Königskrone des neugegründeten griechischen Nationalstaats. Im Winter 1832 verabschiedete er sich von seiner Familie.

Manche Beobachtungen heute lesen sich wie ein Déjà-vu: kompromissloser Parteienhader, fremdenfeindliche Töne, konfuses Herumwursteln und der Staat als Beute, das sind die Bilder, die uns täglich aus Griechenland erreichen. Und Hakenkreuze als neue alte Feindbilder.

Doch wir sollten uns auch erinnern, dass ein anderer Otto, Rehagel mit Namen, als "Rehakles" nach dem Gewinn der Fußball-Europameisterschaft 2004 zum neuen hellenischen Nationalheros erhoben wurde. Zwar scheiterte er 2010. Dafür aber gibt es mit der Marke "Fix" nach einigen Pleitejahren heute wieder jenes Getränk, mit dem der bayerische Brauer Johann Karl Fuchs 1864 in Hellas zu einer Fortsetzung der Herrschaft mit anderen Mitteln ansetzte. Alles in Griechenland ist schon einmal da gewesen. Auch die Versöhnung in Freundschaft.

München - Fürstengruft in der Theatinerkirche



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