Höhepunkt der »wilden Vertreibungen«
Vor 67 Jahren begann der Brünner Todesmarsch – Schlimmstes Nachkriegsverbrechen bis »Srebrenica«
Der Brünner Todesmarsch, der am 31. Mai
1945 begann, gilt als das schlimmste Verbrechen in Europa zwischen dem
Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Massaker von Srebrenica 1995. Rund
27000 Deutsche aus der mährischen Hauptstadt wurden in einem
Gewaltmarsch nach Niederösterreich ausgetrieben, rund 5200 starben.
„Kurz vor neun Uhr abends marschierten junge Revolutionäre der tschechischen Nationalgarde durch die Straßen und riefen alle deutschen Bürger auf, um neun vor ihren Häusern zu stehen, ein Gepäckstück in jeder Hand, bereit, die Stadt auf immer zu verlassen. Den Frauen blieben zehn Minuten, die Kinder zu wecken, sie anzuziehen, ein paar Habseligkeiten zusammenzupacken und sich auf die Straße zu stellen. Hier mussten sie allen Schmuck, Uhren, Pelze und Geld den Nationalgardisten ausliefern, bis auf den Ehering; dann wurden sie mit vorgehaltenen Gewehren in Marsch gesetzt, der österreichischen Grenze entgegen.
„Kurz vor neun Uhr abends marschierten junge Revolutionäre der tschechischen Nationalgarde durch die Straßen und riefen alle deutschen Bürger auf, um neun vor ihren Häusern zu stehen, ein Gepäckstück in jeder Hand, bereit, die Stadt auf immer zu verlassen. Den Frauen blieben zehn Minuten, die Kinder zu wecken, sie anzuziehen, ein paar Habseligkeiten zusammenzupacken und sich auf die Straße zu stellen. Hier mussten sie allen Schmuck, Uhren, Pelze und Geld den Nationalgardisten ausliefern, bis auf den Ehering; dann wurden sie mit vorgehaltenen Gewehren in Marsch gesetzt, der österreichischen Grenze entgegen.
Es war
stockfinster, als sie die Grenze erreichten; die Kinder weinten, die
Frauen stolperten vorwärts. Die tschechischen Grenzwachen drängten sie
über die Grenze den österreichischen Grenzwachen entgegen. Da kam es zu
neuer Verwirrung. Die Österreicher weigerten sich, die Leute
aufzunehmen, die Tschechen, sie wieder ins Land zu lassen. Sie wurden
für die Nacht auf ein offenes Feld getrieben. Am nächsten Morgen
erschienen ein paar Rumänen als Wache. Sie sind immer noch auf diesem
Feld, das zum Konzentrationslager geworden ist. Sie haben nur zu essen,
was ihnen die Wachen gelegentlich bringen. Rationen erhalten sie nicht …
Jetzt wütet eine Typhusepidemie unter ihnen, und es heißt, dass täglich
100 sterben. 25000 Männer, Frauen und Kinder haben diesen Gewaltmarsch
aus Brünn mitgemacht, darunter eine Engländerin, die mit einem Nazi
verheiratet ist, eine Österreicherin von 70 Jahren, eine 86-jährige
Italienerin.“
Mit diesem Bericht informierte die britische Journalistin Rhona Churchill bereits in der „Daily Mail“ vom 6. August 1945 die Öffentlichkeit der Siegermächte. Was in dem Bericht noch fehlt, ist das Ende der Aktion: Nach längerem Zögern wurde im Juni 1945 die Grenze zum damals sowjetisch besetzten Niederösterreich dann doch noch geöffnet. Viele starben allerdings noch auf dem weiteren Weg bis nach Wien an Krankheiten. Nachdem jahrzehntelang die Zahl der Teilnehmer und Opfer des Todesmarsches unklar war, erlauben neuere Forschungen ziemlich präzise Angaben: 27000 Menschen mussten den Marsch antreten, rund 5200 überlebten ihn nicht. Die seit dem hohen Mittelalter bis 1918 mehrheitlich deutsche Stadt Brünn verlor ihre deutsche Prägung.
Mit diesem Bericht informierte die britische Journalistin Rhona Churchill bereits in der „Daily Mail“ vom 6. August 1945 die Öffentlichkeit der Siegermächte. Was in dem Bericht noch fehlt, ist das Ende der Aktion: Nach längerem Zögern wurde im Juni 1945 die Grenze zum damals sowjetisch besetzten Niederösterreich dann doch noch geöffnet. Viele starben allerdings noch auf dem weiteren Weg bis nach Wien an Krankheiten. Nachdem jahrzehntelang die Zahl der Teilnehmer und Opfer des Todesmarsches unklar war, erlauben neuere Forschungen ziemlich präzise Angaben: 27000 Menschen mussten den Marsch antreten, rund 5200 überlebten ihn nicht. Die seit dem hohen Mittelalter bis 1918 mehrheitlich deutsche Stadt Brünn verlor ihre deutsche Prägung.
Der
Brünner Todesmarsch stellt einen Höhepunkt der sogenannten wilden
Vertreibungen vor der Potsdamer Konferenz der alliierten Siegermächte
Ende Juli 1945 dar. Der Begriff „wilde Vertreibungen“ ist etwas
problematisch, weil er auch so verstanden werden kann, dass diese
Aktionen unkoordiniert gewesen seien – ein Missverständnis, dem
tschechoslowakische und tschechische Regierungen spätestens seit dem
Jahre 1948 nur zu gerne Vorschub geleistet haben. Tatsächlich waren auch
diese Aktionen fast ausnahmslos bestens organisiert und von der
Staatsspitze in Prag, wenn nicht direkt angeordnet, so doch gerne
unterstützt. Zahlreiche Aufrufe der damaligen Verantwortlichen in aller
Öffentlichkeit sprechen eine eindeutige Sprache. Kein anderer als
Staatspräsident Edvard Benesch forderte am 16. Mai 1945 auf dem
Altstädter Ring in Prag die kompromisslose „Liquidierung der Deutschen“.
Ohne Wissen und Wollen hoher Regierungsstellen und der anwesenden sowjetischen Besatzungsmacht wären die „wilden Vertreibungen“ ohnehin nicht möglich gewesen. Dies zeigt auch die Lage im von US-Truppen eroberten Westböhmen, wo es keine einzige dieser Aktionen gab.
Im
Falle des Brünner Todesmarsches lässt sich die maßgebliche Verstrickung
der Staatsspitze besonders gut belegen. Das vorwiegend von tschechischen
Arbeitern der „Brünner Waffenwerke“ durchgeführte Verbrechen wurde
maßgeblich von einem tschechischen Hauptmann („Stabskapitän“) namens
Bedřich Pokorný organisiert. Der Geheimdienstoffizier der
Zwischenkriegstschechoslowakei, der in der Protektoratszeit als
Gestapo-Spitzel tätig gewesen sein soll, hat nach der Wiederherstellung
der ČSR seine Tätigkeit fortgesetzt. Nach dem Sieg der Roten Armee wurde
er in die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei (KSČ) und zudem in
das „Korps der nationalen Sicherheit“ (Sbor národní bezpecnosti, SNB)
aufgenommen.
Nicht einmal zwei Wochen vor dem Brünner Todesmarsch, am 18. Mai 1945, erhielt er das Kommando des SNB in Mähren und war als solcher unmittelbar für die Vertreibung der Brünner Deutschen verantwortlich. Einen Monat nach der Tat, am 2. Juli 1945, wurde er auf persönliche Weisung des kommunistischen Innenministers Václav Nosek in die Spitze von dessen Inlandsgeheimdienst „Obranné zpravodajství“ (OBZ) gerufen. Nachdem Pokorný zuvor nur faktisch den Dienst geleitet hatte, übernahm der vormalige Stellvertreter am 15. Januar 1946 auch offiziell die Leitung des OBZ, welcher bei der kommunistischen Gleichschaltung der ČSR eine unrühmliche Bedeutung gewinnen sollte.
Zuvor organisierte er im Juli 1945 aus dem Prager Innenministerium heraus das Massaker von Aussig am 31. Juli. Dieses Verbrechen forderte zwar weit weniger Tote, war aber in der Durchführung besonders grausam: Teilweise wurden Kinderwagen von einer Aussiger Elbbrücke gestoßen und anschließend mit MG beschossen.
Das Massaker von Aussig nimmt auch deswegen eine
Sonderstellung ein, weil die tschechoslowakische Regierung am 16. Juli,
dem Vortag des Beginns der Potsdamer Konferenz, zunächst die
öffentlichen Massaker aussetzte. „Aussig“ war insofern auch vom Termin
her eine Ausnahme. Wegen des Tatablaufs war schon seit jeher klar, dass
das dortige Massaker staatlich organisiert war, doch erst seit den
1990er Jahren weiß man, dass ein und der selbe Mann – eben Bedřich
Pokorný – bei beiden Verbrechen die Fäden zog. Infolge interner
Flügelkämpfe und Intrigen verbrachte er trotz seiner „Verdienste“ bei
der Vertreibung der Sudetendeutschen die Jahre 1953 bis 1958 in
tschechoslowakischer Haft, doch später wurde er mit Entschädigung und
neuen Ämtern rehabilitiert. Am 31. März 1968, auf dem Höhepunkt des
Prager Frühlings, wurde der inzwischen 64-Jährige bei Brünn erhängt
aufgefunden – ob er von eigener Hand starb oder ermordet wurde, ist
unklar.