Dienstag, 18. Januar 2011

Brandenburg-Preußens koloniale Vergangenheit (III): Auf afrikanischem Boden

Deutsche Kolonialerfahrungen vor zweihundert Jahren. Nach dem Tagebuch des Chirurgen Johann Peter Oettinger unter Mitwirkung des Kaiserlichen Vizeadmirals z. D. von Henk herausgegeben von Hauptmann a. D. Paul Oettinger.


Unser Kapitän, in Begleitung des Unteragenten und des zweiten Chirurgen begaben sich zum Kommandanten des Forts, General Haupt, um sich bei demselben zu melden. Am nächsten Morgen setzte man die auf den den Schiffen befindlichen Maurer, Schmiede, Zimmerleute und Tischler ans Land, um bei den Reparaturarbeiten des Forts verwendet zu werden: ebenso wurde eine Anzahl Kisten mit Gewehren und Munition für die Besatzung des Forts gelandet. Der Kapitän überbrachte mir bei seiner Rückkehr auf das Schiff den Befehl des Generals Haupt, sofort ans Land zu kommen, um dort mehrere Jahre als Chirurg zu verbleiben. Ich gehorchte, war jedoch sehr zufrieden, als später durch Verwendung unsres Oberagenten Hoffmann aus Hamburg dieses Kommando nur auf die Dauer der Anwesenheit der Schiffe auf dortiger Reede beschränkt blieb. Behaglich fühlte ich mich keineswegs am Lande; unsre Nahrung bestand aus Fischen, Brot (aus Mais bereitet) und Palmwein, Fleisch gehörte zu den Seltenheiten. Alle Eßwaren mußten mit Gold aufgewogen werden, Silber war hier im Lande unbekannt.

Soweit der Dienst es gestattete, bemühte ich mich zwar, Land und Leute kennenzulernen, schicke jedoch voran, daß mir beides durchaus nicht zusagte. Nach europäischen Begriffen kann der Küstenbewohner dieses Teils des schwarzen Kontinents keineswegs für schön gelten, wenn ich allerdings auch junge Burschen mit großen dunklen Augen, langen Augenlidern und einem offenen, freundlichen Lächeln in den Zügen gesehen habe, die auf diese Eigenschaft recht gut Anspruch machen konnten. Auch ihre Bärte, die sie gern voll tragen, ihr lockig wolliges Haar sind rabenschwarz. Ihre Haut ist wie Ebenholz, die Lippen dick, die Nase bei den meisten platt.

Die Frauen werden, wie bei der Mehrzahl der unkultivierten Völker, nur als Lasttiere angesehen, die die Nahrung bereiten und die häuslichen Arbeiten verrichten, dieselben wurden auch im Fort als Dienerinnen verwendet. Schüchtern fand ich die herangewachsenen Afrikanerinnen nicht, häufig wurde ich auf meinen Ausflügen von ihnen umlagert, um ihnen Schmuck oder Süßigkeiten, für die sie besonders schwärmen, zu schenken; auch war ich nicht wenig über die Koketten Vorführungskünste dieser Wilden erstaunt. Vor allem ist ihnen der Begriff über mein und dein höchst unklar, und auch ich wurde während meines Landkommandos von der mich bedienenden Afrikanerin schließlich bestohlen. Eines schönen Tages war dieselbe mit vier meiner goldenen Ringe plötzlich verschwunden, von welchen letzteren ich nach einiger Zeit die Hälfte zurück erhielt, jedoch war die Diebin selbst nicht aufzufinden.

Ankunft der Brandenburger in Guinea

Die Wohnorte der Afrikaner bilden ein Gewirr von mit Gras bedeckten Lehmhütten und Höfen, die mit Palmblättern und Gesträuch verzäunt sind. Dazwischen liegen einige große freie Plätze mit Kokos- und andren Palmbäumen, in deren Schatten die heranwachsende Jugend sich umhertummelt, und einige kreuz und quer verlaufende schmale Wege, wo einer sich eben noch am andern vorbeidrücken kann. Die ganze Anlage des Dorfes macht, daß die Einwohnerschaft, die oft nur aus einigen Familien in weiterem Sinne besteht, eng zusammenhält. Die Männer liegen der Jagd usw. ob und sind mit Waffen beschwert, in denen sie stolz umherschreiten. Das Oberhaupt einer Familie ist unumschränkter Herrscher und hat die Verpflichtung, für die Familienglieder zu sorgen. Die viel genannten "Häuptlinge" sind oft nur Familienoberhäupter, lassen sich aber gern von den Weißen als "Könige" verehren.

Häufig streifte ich durch den Wald und belustigte mich dort besonders die große Menge Affen mit ihren possierlichen Sprüngen und Grimassen. Zu dreien und mehreren saßen sie auf einem Zweige, faßten einer den andern um den Leib und sprangen Gruppenweise, ähnlich wie die Eichhörnchen, von einem Ast zum andern.

Das Klima der Kolonie ist für Europäer ungünstig. Zu allen Zeiten des Jahres wechselt die Temperatur sehr rasch, was besonders nachteilig für die Gesundheit ist. Im Herbst und Frühjahr treten regelmäßig einzelne Krankheiten epidemisch auf. Hitzige Fieber — hier Landseuche genannt — Ruhr usw. schonen weder Alter noch Geschlecht, so das während meines Landaufenhaltes der größte Teil meiner Zeit durch chirurgische Tätigkeit entweder dienstlich oder durch Privatpraxis vollauf in Anspruch genommen war. Was die letztere betrifft, so nahm ich an dem hier lebenden vierzigjährigen Goldschmied van der Kreusch die Operation einer Kirsche am Halse vor, die er mit auf die Welt gebracht hatte, und wurde dafür mit einem goldenen Ringe honoriert.

Am 22. Dezember wurde das neue Jahr zelebriert. Die Besatzung des Forts war parademäßig aufgestellt, und als der General mit dem Schlage neun Uhr aus seiner Wohnung trat, wurde er unter präsentiertem Gewehr empfangen. Nach abgenommener Parade ließ er im Karree formieren, hielt eine kernige Ansprache an die Besatzung und brachte unter präsentierten Gewehr ein dreimaliges Hoch auf den obersten Kriegsherrn aus, begleitet von einer dreimaligen Salve aus den Schnapphähnen und sieben Schuß aus den Geschützen des Forts.

Auch auf den Schiffen war zugleich die Besatzung in Paradestellung auf dem Oberdeck versammelt; der Kommandant ließ darauf einen Kreis um sich formieren und begrüßte, an die Mannschaft gewendet, mit einigen kernigen, kräftigen Worten das neue Jahr, endigend mit dem brausend ausgebrachten dreimaligen Hoch auf den gnädigsten Kurfürsten Friedrich, worauf die Schiffsgeschütze in den vom Lande her ertönenden Salut mit einstimmen.

Bis Ende des Monats wurden die mitgeführten Baumaterialien, sowie eine Menge andrer Waren, die auf dem Landwege an den in Accoda ansässigen Kaufmann de Laar befördert werden sollten, gelandet, während man vom Salamander bis zum Tauschhandel an der Mohrenküste bestimmten Seidenzeuge, Glasperlen und andre Handelsartikel auf den Friedrich Wilhelm überführte. Gleichzeitig traf man auf letzterem Schiffe Vorkehrungen zur Unterbringung von Sklaven. Große Kessel wurden auf dem Oberdeck eingemauert, die zur Zubereitung von Speisen für 700 bis 800 Köpfe dienen sollten; Wasserfässer in bedeutender Zahl, Brennholz und Lebensmittel in großen Quantitäten wurden an Bord geschafft, und über den Ballast noch eine Art Deck gelegt, um die schwarze Ladung in mehreren Stock unterzubringen u.a.m.

Die Kommunikation zwischen den Schiffen und dem Lande und umgekehrt vermittelten meistens die eignen Boote, oder wenn diese, bei bewegter See, nicht verwendbar waren, sogenannte Brandungsboote, leichte Fahrzeuge, die am Lande gebaut waren. Die Afrikaner machten es sich zuweilen bequem, sprangen über Bord und schwammen an das Ufer zurück, unter Umständen ein gefährliches Unternehmen, denn bei einer solchen Gelegenheit kam es vor, daß einem Jungen beide Beine bis zum Knie von einem Hai mit einem Biß weggeschnappt wurden und den betrübten Eltern nur die verstümmelte Leiche zurückgebracht werden konnte.

Durch Gottes Gnade und Beistand haben wir den Anfang de Jahres des Heils 1693 begrüßt; der liebe Gott sei auch in diesem Jahre unser Anfang, Mittel und Vollender!

Die Agenten der auf der Reede liegenden portugiesischen Schiffe hatten die Erlaubnis, mit den umwohnenden Stämmen Tauschhandel zu treiben, ließen sich hierbei jedoch Gewalttätigkeiten gegen die Eingeborenen zu schulden kommen, nahmen ihnen Gold weg und schleppten sogar Mohren als Sklaven auf die Schiffe. Als diese Ausschreitungen zur Kenntnis des Generals gelangten, machte derselbe kurzen Prozeß mit den Frevlern, begab sich auf den Friedrich Wilhelm, ließ die Schiffe, fertig zum Gefecht, sich in der Nähe der Portugiesen legen, indem er gleichzeitig den Schiffskommandanten zur Wiederherausgabe des geraubten Gutes eine kurze Frist mit der Mahnung stellte, nach Ablauf derselben beziehentlich im Weigerungsfalle, seine Forderung mit Waffengewalt zu erzwingen. Dieser Trumpf verfehlte seine Wirkung nicht; der Befehl wurde ausgeführt, worauf die Portugiesen schleunigst das Weite suchten.

Ein rabiater Afrikaner aus dem Fort, der alle Strafen wirkungslos über sich ergehen ließ, wurde als Gefangener auf die Friedrich Wilhelm geschafft, wo er in Eisen gelegt und streng bewacht wurde. Der Aufenthalt behagte ihm schlecht, so daß er den Versuch machte, sich seine Freiheit gegen Zahlung von drei Pfund Gold zu erkaufen. Der Versuch mißglückte, doch später von der Nemesis ereilt, wurde er wegen Anstiftung der Meuterei auf dem Meere exekutiert.

Am 30. Januar verließ der Salamander mit dem Sohne des Generals Haupt die Reede, um einzelne Küstenpunkte nördlich von Groß-Friedrichsburg zu besuchen. Tags darauf ankerte in der Nähe des Forts ein Lohre-Dreyer-Schiff mit Lebensmitteln und andren Handelsartikeln, demselben wurde jedoch die Erlaubnis zur Kommunikation mit dem Lande vom Festungskommandanten versagt, worauf er wieder in See ging.

Am 13. Februar schlug auch für mich endlich die Stunde der Erlösung und durfte ich auf das Friedrich Wilhelm zurückkehren, um die Weiterreise mit demselben fortzusetzen. Schwer wurde mir das Scheiden vom Fort nicht, die dienstlichen und klimatischen Verhältnisse daselbst waren nicht dazu angetan, mich dahin zurückzusehnen, wenn mir gleich während der nächsten Monate noch trübere Erfahrungen vorbehalten bleiben sollten. Zehn Todesfälle waren während der letzten beiden Monate in der Garnison vorgekommen, und drei Assistenten: Tephile Heinsworth, von Dohlen und von Branden erlagen, trotz der sorgfältigsten Pflege meinerseits, der Landseuche. Die Leichen der letzteren, in ein Leinentuch genäht und auf ein Brett gebunden, wurden unter den Berg getragen und dort, unter Abgabe von drei Salutschüssen, verscharrt. Die beiden letzteren hatten von ihrem Tode den Wunsch ausgesprochen, mich als Erbe ihrer Hinterlassenschaft eingesetzt zu sehen, doch wurden mir nach der vom General getroffenen Entscheidung von dem im Werte von 500 Talern betragenden Nachlasse nur zwei Paar goldene Handknöpfe und zwei Nachtröcke im Werte von 20 Taler eingehändigt.

Am 14. Februar sandte uns General Geizhals zehn Kapritten an Bord; dann ging's unter Segel und Friedrich Wilhelm glitt bei günstigem Winde unter dem Donner der Kanonen des Forts längs der Küste bis Accoda.

Am 18. Februar erreichten wir das englische Fort Anamaboe, nahmen dort neue Remandors (Sklavenhändler) an Bord, setzten dann unsre Reise fort, segelten am 18. Februar beim holländischen Fort Cormantine vorüber und ankerten am 23. des Monats vor Accra oder Akrah unter dem gegenseitigen Austausch der Salute.

Accra, von Engländern, Dänen und Holländern okkupiert, deren Festungswerke einen Gürtel um den Landungsplatz bildeten, hat ebensowenig einen Hafen aufzuweisen wie alle übrigen Plätze an der Goldküste. Die Landungsverhältnisse sind ebenso mangelhaft, wie anderswo; nur mit dem Unterschied, daß die Brandungsboote sich noch besonders vor den Klippen hüten müssen, an denen sich hier die heranwälzende Ozeandünung bricht. Rechts hin, eine halbe Meile östlicher, lag auf hohem, schönbewachsenen Ufer, von Palmen beschattet, Christiansborg: in der Ferne zeichnet sich eine waldige Bergkette am Horizont ab. Eineäußerst bunte, malerisch zusammengewürfelte Gesellschaft von nackten Kindern und eine Hundert in allen Regenbogenfarben des Kattuns glänzende unsaubere Afrikaner empfingen uns, als wir glücklich ans Land geschleppt waren und unsern Einzug hielten. Während unsres Aufenthaltes entwickelt sich zwischen unsrem Kapitän und den Kommandanten der Forts ein lebhafter, freundschaftlicher Verkehr. Unser Oberagent Hoffmann benutzte die Zeit, um Seidenwaren, Leinewand, Pulver, Glasperlen usw. zu landen und für dieselben Gold und Sklaven einzuhandeln. Ein männlicher Sklave wurde etwa mit 25 Talern, ein weiblicher mit 20 bis 22, ein Junge mit 12 bis 14 und ein Mädchen mit etwa 10 Talern bezahlt.

Am 10. März verließen wir die Reede von Accra, segelten am 12. vor Kleinpopo vorüber und ankerten am nächsten Tage vor Whydah oder Waidah.

Da dehnte sich denn — wir lagen eine halbe Meile von Land ab — drüben ein ewig langer, gelber Sandstrand vor uns, auf den die Brandung sich donnernd und milchweiß aufspritzend wälzte. Im Hintergrund gab ein Palmenwald dem Auge etwas Ruhe, und vor ihm, auf den Sand des Strandes gebaut, standen einzelne Hütten zum Unterbringen der gelandeten Waren oder der einzuschiffenden Sklaven, auf deren Dächer die Sonne vom Aufgang bis Niedergang mit durchdringenden der Glut niederbrannte. Bald nachdem wir vor Anker gegangen waren, kam, durch die Brandung sich hindurcharbeitend, ein Brandungsboot auf uns zugerudert: stark gebaut, vorn und hinten sehr scharf zulaufend. Die Afrikaner waren, die etwas dürftigen Beine abgerechnet, prächtige Gestalten, deren Körper, zumal bei strammer Anspannung der mächtigen Muskulatur der Brust, des Rückens und der Arme, tatsächlich auch der Farbe nach, wie aus dunkler, blanker Bronze gegossen aussahen. Der Oberagent Hoffmann mit seinen Assistenten und den mitgebrachten Sklavenhändlern begaben sich mit diesem Boote ans Land, um mit dem Könige von Kleinpopo bez. mit anderen Häuptlingen wegen Einkaufs von Sklaven Verbindungen anzuknüpfen, während auf dem Schiffe die zur Aufnahme einiger Hundert Sklaven nötigen Vorkehrungen getroffen wurden.

Am 15. März fuhr auch ich ans Land, um die Sklaven, vor dem Aufkauf, zu untersuchen.

Die Residenz des Königs, wohin der Dienst mich rief, lag etwa sechs Seemeilen landeinwärts, der Weg dahin war äußerst beschwerlich und führte durch Moräste und Sandstriche, das Klima ist daher für Europäer nicht besonders gesund zu nennen. Meine Beförderung bis zur Residenz geschah in einer Art Sänfte, die von zwei Afrikanern getragen wurde. Jeder der beiden Träger faßte das Ende einer langen Bambusstange, an welcher die aus Segeltuch gefertigte Sänfte befestigt war, und trugen mich dieselben ohne Unterbrechung etwa eine englische Meile, während zwei Leute als Ablösung nebenher trabten. Nach dreistündigem Marsche durch Sümpfe und Sandsteppen langte ich abends, bei regnerischem Wetter, in der Residenz des Mohrenhäuptlings an, wo ich mit dem Oberagenten Hoffmann und seinen Untergebenen gemeinschaftlich ein Zimmer im Parterre des Hauses bewohnte. Die übrigen Räumlichkeiten desselben Stockes dienten zur Unterbringung der Waren. Abends folgten wir der Einladung zweier französischer Kaufleute zum Souper, welche ebenfalls Sklavenhandel trieben, und ein geräumiges Haus, in dem die angekauften Sklaven bis zu ihrer Einschiffung untergebracht wurden, bewohnten.

Auch die Engländer hatten ein, mit einem Walle umgebenes, mit Kanonen kleinen Kalibers besetztes Haus, welches gleichfalls zur Unterkunft der Sklaven diente, bis sich Gelegenheit zu deren Weiterbeförderung bot.

Mohrenhäuptling in Guinea
Die Wohnung des Königs, aus Steinen und Lehm gebaut, mit einem Wall umgeben und mit einem Rohr- und Schilfdach versehen, war zwar geräumig, besaß aber keine Fenster. Von der bedeutenden Anzahl Zimmer, welche dieselben enthielt, wird der größte Teil von seinen Weibern, siebenhundert am der Zahl, eingenommen, die von bewaffneten Dienern bewacht werden.

In dem zu ebener Erde gelegenen Staatsgemach befindet sich der etwa ein bis zwei Schuh erhöhte Thronsessel, dessen Rück- und Seitenlehnen mit einem rotseidenen Tuch drapiert sind. Über demselben hängt ein altes Gemälde, einen Elefanten darstellend, umgeben von einer großen Zahl Mohren, die in verschiedenen phantastischen Kostümen und unter den possierlichsten Sprüngen vor und hinter, sowie zu den Seiten des Elefanten einherlaufen. Im übrigen herrschte im ganzen Hause große Unreinlichkeit, die naturgemäß, dem Ungeziefer aller Art einen willkommenen Zufluchtsort bietet.

Auch unser Unterkunftsraum war nichts weniger als einladend, es wimmelte gleichsam an Ungeziefer und strotzte von Schmutz. Mein Bett — doch ich will lieber davon schweigen. Es ist ein wohltuendes Gefühl, das Blut einer gierigen Mücke zu vergießen, wenn es auch selbst unser eigenes ist, es gewährt sogar noch einige Genugtuung einen ertappten Floh zu morden; aber keine, keine Rettung ist gegen die Wanze — lebendig oder tot bleibt sie gleich entsetzlich. Ich war übrigens zu müde, um große Ansprüche an mein Bett zu machen, wenn überhaupt ein bedeutend zu kurzes Stück Baumrinde über ein Paar Stützen gelegt, ein Sack Späne als Decke und Ungeziefer als Matratze den Namen verdienen. Der Nachtwind wehte mir durchs Haar und der Regen schlug durch die als Fenster dienenden Öffnungen in der Mauer. So schlief ich in Abzügen bis zum morgen, um mit der nächsten Gelegenheit vom Schiff eine Hängematte zum Nachtlager bringen zu lassen.

Die Afrikanerhütten aus Schilf oder Matten, teilweise aber auch aus Stein und Lehm gebaut, von denen die ersteren leicht transportabel und im Sommer bedeutend kühler sind als die letzteren, hatten eine binnenkorbartige Form, einen Durchmesser von etwa 15 Fuß und eine Höhe von 8 Fuß. Die als Tür dienende Öffnung war nur gerade so groß, daß man in gebückter Stellung hindurch kommen konnte. In der Mitte brannte ein Feuer, dessen Rauch sich den Ausweg selbst suchen mußte, und um dasselbe hockt dann die ganze Gesellschaft, die bei Kaffee und einer Pfeife Tabak die Zeit in seligem Nichtstun verbringt. Die Bekleidung der Eingeborenen sowohl bei Männern wie Weibern besteht aus einen Stück Tuch, mit dem sie die Lenden umgürtet haben und das bis an die Knie reicht; im übrigen wimmelt es in den Hütten von Ungeziefer und strotzen dieselben von Schmutz.

Der Reichtum des Bodens ist bewunderungswürdig. Hinter dem Sandboden der Küste, der vielfach die Goldwäscherei zu einer lohnenden Arbeit für die darin höchst gewandten Frauen der Eingeborenen macht und den Kokosnußpalm-Waldungen, die sich mit dem Sandboden gut vertragen, liegt streckenweise nur wenige Meilen entfernt ein an Vegetation überreiches Hügel- und Gebirgsland. Üppig durch einander wachsen Bananen, Pisangs, Ananas, Orangen, Limonen, Mais, mit welchem letzteres das meiste Land besät ist. Mit hölzernen Instrumenten wird dasselbe umgepflügt oder umgegraben, um das türkische Korn hineinzusäen. Die reifen Körner werden dann zwischen flachen Steinen gerieben, wie die Maler ihre Farben, etwas Palmöl in das Mehl getan und zu Brot gebacken. Dasselbe ist weiß und schmackhaft (von Geruch und Geschmack wie Beilchen). Auch wird eine Art Bier aus dem Mais bereitet. Reich vertreten sind ferner der Brotfruchtbaum mit grüner, in Form einem großen Apfel ähnlicher Frucht, deren Inneres mehlig ist und wenn gekocht, Kartoffelähnlich schmeckt, der Brotnußbaum mit ganz ähnlicher aussehender, aber stachlicher Frucht, die kleine Kerne enthält, welche gegessen und als Arzneimittel benutzt werden usw.

Auf den Hügeln und in den Tälern wandert man durch große Plantagen von Palmbäumen, deren Früchte den Eingeborenen ihr Hauptnahrungsmittel, die Palmölsuppe liefern und als Handelsartikel die Mittel zur Anschaffung ihrer sonstigen Bedürfnisse geben.

An Haustieren gibt es Kühe, Ziegen, Schweine, Hühner; die Kühe sind jedoch des häufig mangelnden Grases, das beim Ausbleiben von Regen gänzlich verdorrt, sehr mager. Die Pferde laufen frei umher; einzelne Afrikaner benutzen sie zum Reiten, andere dagegen beten sie an.

Bei einer meiner Morgenwanderungen sah ich eine Menge Leute, die mit wütenden Geschrei hinter einer wild umherrennenden Kuh herliefen, um sie zu fangen, und, wie ich glaubte, zu schlachten. Sie warf einige der Verfolger über den Haufen und sprang auch gegen mich an. Ich war schon im Begriff, sie mit meinem Schnapphahn niederzuschießen, als ein alter Afrikaner mir zu verstehen gab, man wollte sie nur melken. Nicht ohne Mühe warf man ihr eine Wurfleine über die Hörner und brachte das wütend um sich stoßende Tier dahin, den Kopf zwischen ein Paar wohlbefestigte Holzriegel zu stecken, durch welche es gehalten wurde. Als man dann noch die Beine mit rohen Lederriemen festgebunden, konnte die friedliche Beschäftigung des Melkens vor sich gehen.

Einige Tage nach meiner Ankunft trafen schon die ersten Sklaventransporte aus dem Innern des Landes ein, während vom Schiffe her die für den Tauschhandel bestimmten Waren anlangten.

Sobald eine genügende Anzahl der unglücklichen Opfer beisammen war, wurden sie von mir untersucht, die gesunden und kräftigen gekauft, dagegen solche, den Finger oder Zähne fehlten, oder die mit Gebrechen usw. behaftet waren — mangrones genannt — zurückgewiesen. Die abgenommenen Sklaven mußten dann zu 20 und 30 niederknien, die rechte Schulter derselben wurde mit Palmöl bestrichen und dann mittelst eines Stempels, der die initialen C AB C (churfürstlich afrikanisch-brandenburgische Compagnie trug, ) gebrannt, dann in den für sie bestimmten Unterkunftsräume streng bewacht. Waren etwa 50 oder 100 Sklaven beisammen, so wurden sie zu zweien und zu dreien zusammengekuppelt und unter Eskorte an die Küste getrieben. Mit lag die Überwachung des Transportes ob, zu welchem Zwecke ich in einer Hängematte hinterher getragen wurde, so daß ich die Kolonne übersehen konnte. An der Küste angelangt, landeten auf ein verabredetes Signal die die Schiffsboote, um die schwarze Ladung an Bord zu nehmen.

Einige dieser Unglücklichen folgten willens- und wiederstandslos ihren Führern, selbst wenn sie durch die Peitsche zur Eile angetrieben wurden; andre dagegen heulten und tanzten; doch gab es auch viele, namentlich Weiber, welche die Luft mit herzzerreißendem Geschrei erfüllten, das kaum durch die Trommel oder andre lärmende Instrumente übertönt werden konnte und mir oft in das Herz schnitt. Doch lag es nicht in meiner Kraft, das Schicksal dieser Unglücklichen zu ändern.

Auf dem Rückwege wurde dann die etwa hundert Köpfe zählende Negereskorte zum Weitertransport der vom Schiffe gelandeten Waren deren Überwachung mir gleichfalls oblag, die jedoch bei dem diebischen Charakter dieser in Wolle gefärbten Hallunken mit Unannehmlichkeiten mancherlei Art verbunden war. Nicht allein, daß die Träger mit Güte oder Strenge zur Beschleunigen ihres Marsches angetrieben werden mußten, ließen dieselben besonders solche Fässer, in denen sie die kleinen zierlichen Muscheln vermuteten, absichtlich oder zufällig fallen, oder beschädigten sie auf andre Art, wobei ein Teil der herausgefallenen Inhalts in ihre großen Strohhüte wanderte.

Als ich auf einem dieser Transporte die Diebe in flagranti ertappte und sie mit meinem Seitengewehr durchprügeln wollte, machte ich das Übel insofern ärger, als die Kerle das Faß hinwarfen und dann das Weite suchten, so daß ich Mühe hatte, dasselbe durch andre Träger an den Bestimmungsort zu schaffen.

Am 4. April war das Schiff endlich mit 738 Sklaven beiderlei Geschlechts beladen, so daß wir uns vom Könige verabschieden und auf die Schiffe zurückkehren konnten. In Sänften bis zum Strande getragen, beschenkten wir unsre Träger und Begleiter mit Branntwein und bestiegen alsdann das Boot.

Groß-Friedrichsburg

Abends erreichten wir, durchnäßt, sonnverbrannt, zerstochen von Moskitos und andrem Ungeziefer, glücklich das Schiff und dankten Gott, daß wir endlich gesund aus diesem Heidenlande entkommen waren. Doch welch ein Schauder überkam mich, als ich die Räume betrat, in denen die unglücklichen Opfer untergebracht, und die schreckliche Atmosphäre einatmete, in der dieselben zu leben gezwungen waren. Paarweise an den Füßen zusammengeschlossen, lagen oder saßen sie reihenweise nebeneinander, und zog sich das Herz krampfhaft zusammen, als ich solche, dem Äußern nach menschlich gebaute Wesen, wie das Vieh behandelt sehen mußte. Ein andres entsetzliches Schauspiel bot sich unsren Augen am nächsten Morgen dar, als von den auf das Oberdeck getrieben Sklaven einer über Bord fiel und seinen angeketteten Leidensgefährten mit fortriß. Beide umschlangen sich mit Geheul und versuchten durch Schwimmen über Wasser zu bleiben, bis ihnen vom Schiffe Rettung kam. Doch nach weniger Augenblicken schon schossen unter dem Schiffsboden gierige Haie hervor, rissen ihren Opfern die beine ab, und zogen sie in die Tiefe hinunter, so daß das Meer von ihrem Blute gefärbt wurde, ehe das rettende Boot herbeikommen konnte. Später wurden von uns einige dieser räuberischen Meeresbewohner, die dem Schiffe gefolgt sein mußten, gefangen und getötet und fanden wir in ihren Magen Arme, Beine, Rippen usw. von Menschen vor.

Am 5. April setzten wir, gefolgt von der Schnau und einer englischen Brigantine die Weiterreise an der Küste entlang fort, unsern Kurs nach St. Thomas (in der Bucht von Guinea) nehmend , um Lebensmittel und Wasservorräte zu der Reise über dem Ozean eingenommen werden sollten. Am 19. April segelten wir zwischen der Insel Fernando Po und dem Festlande durch. Am 22. April segelten wir am Kap St. John und einige tage später an den Corisco Inseln und dem Kap Santa Klara vorüber.

Am 5. Mai erreichten wir endlich einen Ankerplatz westlich von Kap Lopez Greenwich, wo die Wasservorräte, Nahrungsmittel und Brennholz ergänzt werden konnten. Die Küstenbewohner trugen Perücken von Pferdeschwänzen, während ihre sonstige Bekleidung nur aus einem einfachen baumwollenen Schurz bestand, den sie entweder aus Schonung oder um ihr Haar beim Umschlagen des Kanoes nicht naß zu machen, um den Kopf gewunden hatten, sonst waren sie nackt.

Am 27. und 28. August wurden die Segel untergeschlagen, Lebensmittel und Brennholz an Bord genommen, die Wasserbehälter aufgefüllt und auch lebendes Vieh, wie Schweine, Ziegen, Hühner usw. auf das Schiff gebracht. Dann wurde letzteres aus dem Orkanhafen geholt und auf die Reede vor Anker gelegt. Mit dem 28. abends waren alle Vorbereitungen zur Abreise beendet. Nochmals wurde von den zurückbleibenden Schiffsgenossen am Lande Abschied genommen; bei dieser Gelegenheit kehrten wir erst gegen Mitternacht auf das Schiff zurück, und mancher schien aus seinen Bewegungen zu schließen, schon zu glauben, daß er mitten im Ozean sich befinde, als er den Weg bis zur Landungsstelle zurücklegte.

Am 29. August in aller Frühe wurden die Anker gelichtet und steuerten wir unter dem Salut von elf Schuß aus dem Hafen der Heimat zu. Ein Jahr ist dahingeeilt, seitdem "Friedrich Wilhelm Kurfürst von Brandenburg" die vaterländischen Küsten verlassen, und diese, wenn auch nicht allzulange Zeit, ist nicht spurlos an seinen Bewohnern vorübergegangen. Sie war reich an wechselvollen Ereignissen, sie brachte wenig Freude, war aber voller Entbehrung und vielem Leid. Wir finden nicht mehr jene ungebundene, sorglose Heiterkeit an Bord, die allen Widerwärtigkeiten eine lachende Stirn bot, die unbekümmert um Zeit und Raum sich der Gegenwart freute und selbst aus ihren nur kargen Blüten nur Honig zu saugen verstand.

Kaum hatten wir uns in den Gedanken hineingelebt, unsren Bug dem Hafen unsrer Abfahrt zuzuwenden, so wurden wir in die Kajüte des Kapitäns befohlen. Dort wurde uns zu unsrem Schrecken durch den Vizedirektor der kurfürstlich brandenburgischen Gesellschaft "Carbel" und Kapitän Foucou, die beide die Reise nach Europa mitmachten, eröffnet, daß unser nächstes Reiseziel nicht Emden, sondern Cadiz sei, um dort den eingenommenen Kakao gegen spanischen Wein vorteilhaft einzutauschen.

Diese Neuigkeit traf uns wie ein Blitz aus heiterem Himmel und zerstörte all unsre Illusionen. Zwar legten wir Verwahrung gegen eine solche Vergewaltigung ein, denn unser in Emden abgeschlossener Kontrakt lautete auf eine direkte Rückkehr von St. Thomas nach der Heimat, doch war der Widerspruch vergeblich, und erreichten wir nur das Versprechen, daß, falls unser Schiff während dieser Fahrt verunglücken oder von Kapern genommen werden würde, wir unser volles Honorar von der kurfürstlich brandenburgischen Kompanie ausgezahlt erhalten sollten. So setzten wir denn in Gottes Namen unsre Reise nach Cadiz fort.

Doch die Reise ging nur langsam von statten, manche vierundzwanzig Stunden kamen wir nur wenig vorwärts. Schon war der 30. September herangekommen, und immer waren wir noch weit vom Ziel. Die Verpflegung wurde mangelhaft. Erbsen, Linsen, weiße Bohnen, grobe Graupen, Reissuppe, zuweilen ein Hering, Schiffszwieback (hart wie Eisen), gepökeltes Rind- und Schweinefleisch — nicht gerade von bester Qualität — als Getränk eine schwarze oder gelbe Brühe, die man Kaffee oder Tee nennt, sowie etwas Bieressig bildeten die Tafelfreuden. Dazu ein halb Maß Wasser bei der großen Hitze. Schmalhans war Küchenmeister! Dazu kein Schiff in Sicht während der ganzen langen Fahrt; nur eine Bark wurde einst aus weiter Ferne gesehen. Unsre Geduld sollte jedoch noch weiter auf die Probe gestellt werden, denn je mehr wir uns Europa näherten, um so stürmischer wurde das Wetter, dazu das Schiff leck, so daß Tag und Nacht gepumpt werden mußte. Stürme aus verschiedenen Richtungen wechselten miteinander ab und zu keiner Zeit ist die Bewegung des Schiffes unangenehmer und gefährlicher, als in den Zwischenraume zwischen dem Aufhören eines heftigen Sturmes und dem Eintreten eines neuen Windes. Das Schiff wird ganz unlenksam und gleitet in die Wellentröge hinab, während das Wasser über die Docke einbricht und oft ernstlichen schaden anrichtet; auch haben Masten, Spieren, Takelwerk viel auszustehen, weil sie den plötzlich ungestümen Wellenstößen Trotz bieten müssen. Endlich am 28. Oktober sahen wir die Nordwestküste von Afrika und waren noch etwa 60 Meilen von Cadiz entfernt, so daß wir hoffen konnten, in den nächsten Tagen unsren Bestimmungsort zu erreichen. Doch war es vom Schicksal anders beschlossen.

Am 30. Oktober, wo günstiger wind unsre Segel schwellte, erblickten wir vor uns sechs Schiffe, die unter englischer Flagge segelten. Nichts Böses ahnend, setzten wir unsren Kurs fort und wurden gegen zwei Uhr nachmittags von einem Brander gepreit (angerufen), ohne jedoch das Gerufene zu verstehen. Wir nahmen keine Notiz davon und auch der Brander segelte weiter. Erst nachdem im Laufe des Nachmittags noch andre drei Schiffe sich uns bedenklich näherten, schöpften wir Verdacht, umsomehr, da sie auch nach Sonnenuntergang in unsrer Nähe blieben. Bei der Abendmusterung wurde die Gefechtsrolle noch einmal durchgenommen, die Kanonen scharf geladen und eine Anzahl Kugeln in der Nähe der Geschütze geschafft. Nach Beendigung all der zum Gefecht nötigen Maßregeln, versammelte Kapitän Laifsie die Besatzung auf dem Halbdeck und teilte derselben seinen Verdacht mit, indem er aussprach, daß es seine Absicht sei, im Falle eines Angriffs die Flagge auf das äußerste zu verteidigen, dann ermahnte er jeden, auf seinem Posten bis zum letzten Augenblick auszuharren und seine Pflicht zu tun.

Gegen Mitternacht, als der Mondsichel durch die Wolken brach, erkannten wir in unsrer nächsten Nähe drei uns verfolgende Schiffe unter französischer Flagge. Es wurde "Klar Schiff" geschlagen und der rote Aar flatterte von der Spitze der Gaffel. Sämtliche Kanonenpforten flogen in die Höhe, die Feldschlangen öffneten ihren ehernen Mund und ein Hagel von Geschossen trug Tod und Verderben in die Reihen der überraschten Feinde. Hatten sie zwar keinen Angriff unsrerseits erwartet, so waren sie doch gleichfalls zum Kampf bereit, so daß unser erster Gruß sofort mit einer Lage von dreißig Schuß, darunter vierundzwanzigpfündige Kugeln, erwidert wurde. Unser Kapitän war der erste, welcher von einer feindlichen Kugel tödlich getroffen niedersank und seinen Geist aufgab. Mit seinem Tode hörte jedoch auch jede Disziplin auf, die noch Unverwundeten verließen die Kanonen, strichen die Flagge und schrien um Gnade zum Feinde hinüber. Trotzdem unser Geschützfeuer verstummt und die Flagge gestrichen war, erhielten wir dennoch, gegen den Kriegsgebrauch, eine große Anzahl Schüsse. Endlich kamen französische Boote mit Offizieren und Soldaten an Bord und besetzten unser Schiff. Man entschuldigte das Fortsetzen des Schießens damit, daß die Mannschaft gegen den Befehl weiter gefeuert habe und dieselbe nur mit Gewalt hätte von den Kanonen entfernt werden können. Dann fielen die Soldaten über unsre Besatzung her und plünderten sie bis aufs letzte Hemd aus. Auch mir wäre es nicht besser ergangen, wenn auf mein Rufen sich nicht einer der französischen Offiziere meiner erbarmt und meine Plünderer mit dem spanischen Rohre fortgetrieben hätte, so daß ich wenigstens noch meine Kleider und das bare Geld rettete, während meine übrigen Reiseeffekten, die Arznei, Tabak usw. vom Feinde als gute Beute betrachtet wurden.

Am nächsten Morgen wurden wir als Gefangene auf die verschiedenen Schiffe verteilt, dann nahm man die wertvollsten Sachen des Inventars und der Ladung vom Bord und steckte unsre Schiff unter vollen Segeln in Brand. Wie Schlangen kletterten die Flammen an den Tauen empor, dicker Rauch wirbelte aus allen Luken der unteren Räume, bis nach und nach das Ganze eine Feuergarbe bildete, die einzelnen Spieren auf Deck oder über Bord stürzten und dabei das Schiff selbst immer tiefer ins Wasser sank. Da noch einmal erdröhnte vom "Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg" her Kanonendonner, wie um uns noch einmal aus dem ehernen Mund der scharfgeladenen Geschütze den letzten Abschiedsgruß zuzurufen, ehe sie auf wenig verstummen und auf tiefen Meeresgrund gebettet werden sollten. Bald darauf tauchte der Bug des Schiffes zuerst ein und wenige Minuten darauf zeigten die zusammenbrechenden Wellen, wo das Schiff, auf dem wie ein Jahr und darüber Freunde und Leid miteinander geteilt hatten, untergegangen war.

Aus Furcht, das lecke Schiff würde ohnehin nicht mehr lange schwimmen und vielleicht noch den Engländern oder Holländern in die Hände fallen, schritt man so schnell zur Zerstörung desselben und versenkte etwa einen Wert von siebzigtausend Taler in die Tiefe. Dann wurde vollgebraßt und die Reise nach Brest fortgesetzt.

Ich befand mich mit dem Unterkapitän, dem Schiffer, Steuermann, dem Unteragenten und andern der Besatzung auf dem französischen Kommodore-Schiff, welches 70 Geschütze und 350 Mann Besatzung hatte. Uns allen wurde im allgemeinen eine gute Behandlung zu teil, und war ich speziell der tägliche Gast des Oberchirurgs; auch erhielt ich durch dessen Vermittlung einen Teil meiner chirurgischen Instrumente, welche man mir bei der Plünderung des Schiffes abgenommen hatte, wieder zurück. Nur unser Lager, welches sich in dem untersten Schiffsraum befand und aus Reservesegeln bestand, war kein angenehmes. Am meisten ließ die Behandlung der Verwundeten zu wünschen übrig, ja sie war bisweilen kaum menschlich zu nennen, woran namentlich die mangelhaften Kenntnisse des chirurgischen Personals die Schuld trugen.

Etwa vierzehn Tage dauerte unsre Reise bis Brest, während welcher Zeit sich nichts Bemerkenswertes ereignete. Täglich wurde die Messe gelesen und zuweilen "vive le roi!" gerufen, woraus ich schloß, daß Offiziere und Mannschaft große Ehrfurcht gegen ihren König und Herrn hegten.

Eines Tages begegneten uns zwei große türkische Schiffe in einer Entfernung, die uns eben nur noch die Flagge erkennen ließ; ein Schuß wurde abgefeuert und jeder setzte seinen Kurs fort. Dies ließ indes vermuten, daß Frankreich mit Bluthund* (bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts war die Bezeichnung "Bluthund" für "Türke" ganz allgemein.) nicht allein eine Alliance geschlossen, sondern ihm auch wohl Volk gesandt hat. Wo bleibt da die christliche brüderliche Liebe, die ganze Welt ist voller Diebe! Kein' Treu noch Glauben in der Welt; ein jeder spricht: hätt' ich nur Geld! So viel von dem französischen Schiffe.

Am 14. November nachts ankerten wir auf der Reede von Brest. Am 15. wurde ein Teil der Gefangenen gelandet. Während des Transports war uns von einem deutschen Jungen der gute Rat erteilt worden, und als Holländer auszugeben, weil alle Deutschen, von denen noch eine große Zahl Lübecker, Hamburger, Danziger und andre in den Gefangenenhäusern schmachteten, festgehalten würden.

Endlich schlug am 16. November auch für mich die Stunde der Befreiung; ich erhielt, nachdem ich mich als aus Fort in Holland gebürtig ausgegeben hatte, schon am 17. desselben Monats einen Paß zur Weiterreise, während etwa zwanzig andre, die es mit ihrem gewissen nicht vereinbaren konnten, sich eine falsche Nationalität anzueignen, gefangen gehalten, jedoch später nach Zahlung von vier Talern für jede Person wieder freigegeben wurden.

So trat ich denn am 18. November mit dem Unterkapitän, Schiffer, Steuermann, Schreiber, dem Kaufmann, dem Sohne unsres Kapitän und mit meinem Kameraden "Haupt" zu Fuß die Reise durch Nordfrankreich nach Emden, dem Sitze der Afrikanischen Handels Gesellschaft an, um mir dort mein noch restierendes Guthaben zu holen.

Unsre Reise war sehr beschwerlich, denn die Wege waren schlecht und die Bewohner in der Bretagne nicht sehr gastfrei. Wo die Gelegenheit sich bot, Pferde zu mieten, machten wir die Reise zu Pferde, die meiste Zeit aber mußten wir doch zu Fuß gehen. Da wir recht elend und abgerissen aussahen und mit dem Gelde sparen mußten, so wurden wir oft in den Herbergen abgewiesen und gar manches Mal haben wir bei Regen und Kälte im Freien kampiert. Zu allem Unglück stahl mir ein schurkischer Franzose, der sich für ein Edelmann ausgab, in einem elenden Dorf bei Dol, wo er mit uns übernachtet hatte, meine Schuhe. Zwar ließ er mir die seinen zurück, diese hatten aber keine Sohlen. Ich mußte mich ohne Schuhe bis Caen behelfen, das wir erst nach vier Tagen erreichten. Zum Glück hatte ich noch Geld, so daß ich mir da neue Stiefeln kaufen uns auch sonst noch mit manchem Notwendigen versehen konnte. Über Havre de Grace und Dieppe marschierten wir zu Fuß bis Abbeville. Gern wären wir mit dem Schiff gefahren, aber man traute uns nicht und nahm uns nicht auf. — Am 16. Dezember kamen wir endlich auf niederländischem Gebiete in der Stadt Brücken an und dankten Gott, daß wir aus Frankreich heraus waren; es ist das zwar ein köstliches Land, dazumal aber war es nicht gut für uns.

Ohne Aufenthalt setzten wir unsre Reise fort und erreichten über Blissingen und Middelburg am 21. Dezember Rotterdam. Dort gingen wir zu den westindischen Räten, die jedem von uns vier Reichstaler auszahlen ließen, so daß wir den übrigen Weg bis Amsterdam bequem in einer Landkutsche und dem Dreckschiff zurücklegen konnten. In Amsterdam war ich gut bekannt und machte deshalb acht Tage Rast daselbst, montierte mich mit Leinwand und Wolle und kaufte mir Instrumente und Bücher. Bei Nikolaus Rennstein, der als Barbier in Amsterdam servierte, fand ich einen Brief von meinem Vater. Obwohl er schon vor neunzehn Monaten geschrieben war, freute ich mich außerordentlich darüber, war es doch der erste Gruß, den mir die alte liebe Heimat sandte.

Am 16. Januar langte ich, nach einer weiteren zwölftägigen Reise durch West- und Ostfriesland in dem ersehnten Emden an, von wo ich meine so unglücklich verlaufene Seereise angetreten hatte. Ich nahm bei Herrn Otto Westendorff Wohnung, dem ich vor meiner Abfahrt einen Kasten mit Medizin, Büchern, Instrumenten, Leinen und meinen Ersparnissen an Geld zum Aufheben gegeben hatte. Ich fand alles richtig wieder vor und es kam mir namentlich das Geld zu statten, denn das Kostgeld war sehr hoch, so daß ich mit 2 Gulden 30 Kreuzern wöchentlich kaum auskam.

Am 21. Februar empfing ich von dem Herren der Afrikanischen Handels Gesellschaft 110 Reichstaler als Abschlagszahlung auf das mir zustehende Monatssalär; für den noch an die 150 Gulden betragenden Rest bekam ich eine Obligation und wurde gebeten, mich noch einige Monate zu gedulden. Von Emden reiste ich nach Oldenburg und wäre dort beinahe um meinen sauer verdienten Lohn und all mein Gut gekommen. Es war nämlich ein Franzose mit uns im Quartier, der hatte ein kleines Reisekästchen bei sich, in dem er ein Stück gebratenes Fleisch und ein Brot verwahrte. Als er davon fuhr, bemerkte ich, daß mein Reisekoffer, in dem mein Geld und meine Habseligkeit verwahrt waren, fehlte und dafür des Franzosen Kästchen zurückgeblieben war. Darüber erschrak ich nicht wenig, lief aber behende dem Wagen nach und bestellte zugleich durch Soldaten Pferde. Als ich nahe an die äußere Wache kam, sah ich den Wagen vor mir, der auf mein lautes Rufen von der Wache angehalten wurde. Der Monsieur Franzose wollte von gar nichts wissen, als ich ihn ganz außer Atem zur Rede stellte. Erst als er sich umdrehte und meinen Koffer sah, gab er klein bei und schob alle Schuld auf den Fuhrmann. Nachdem dieser des Franzosen Kästchen herbeigeholt hatte, bekam ich meinen Koffer nach vielem Zanken zurück. — Das war wieder so ein französisches Stücklein.

Von Oldenburg reiste ich über Bremen und Celle nach Braunschweig, wo mein Bruder Adam Kunstmaler war. Ich ließ ihn zu mir kommen und bestellte ihm einen Gruß von seinem Bruder, den er nicht annahm, er behauptete vielmehr, sein Bruder wäre tot. Er erkannte mich nicht, weil ich während der langen Seereise ganz braun im Gesicht geworden war, erst als ich ihm meinen Lehrbrief vorwies, glaubte er es, daß ich sein Bruder war und fing an vor Freuden zu weinen. Er redete mir dann mit beweglichen Ausdrücken zu, daß ich nach Hause reisen sollte, weil sonderlich mein Vater ein groß Verlangen trüge, mich zu sehen und bei seiner zunehmenden Schwachheit und seinem hohen Alter nicht mehr viel Zeit zu verlieren sei. — Weil ich aber noch 150 Gulden von den edlen Herrn der Afrikanischen- und Amerikanischen Kompanie zu fordern hatte, mußte ich zuvor nochmals nach Emden. Nachdem ich mein Guthaben einige Monate später erhoben, machte ich mich auf den Weg nach Hause. Unterwegs kam ich auch nach Heidelberg, das ich aber fast nicht wieder erkannte. Zu meiner Zeit, als ich im Jahre 1682 bei Herrn Heinrich Spränger, dem Leib Chirurgus von Ihrer Hochgräflichen Gnaden, in Kondition stand, florierte alles; jetzt aber war's nur noch ein Aschenhaufen. Zumal das vordem so prächtige und feste Schloß mit seinem Garten und vielerlei Wasserkünsten sah samt den dicken Turm gottserbärmlich aus. Das war auch wieder so ein Stücklein von den Franzosen. —

Am 21. August 1696 langte ich nach vierzehnjähriger Abwesenheit wieder zu Hause an, und traf meine Eltern, gottlob! wohlauf. Von der Zeit an bis in das Jahr 1697 bin ich in der Gegend viel hin und her marschiert, um alle alten Freunde zu begrüßen. Auch viele Patienten habe ich gehabt und manch schönes Stück Geld mit Kurieren verdient, bis ich mich endlich, da mir die Meinigen keine Ruhe mehr ließen, mit Anna Barbara, geborene Böhmin, in den Stand der heiligen Ehe begeben habe. —

Hiermit endigen die Aufzeichnungen des biederen Schwaben. Einer seiner Enkel, der dieselben fein abgeschrieben hat, fügt die Bemerkung hinzu: "Übrigens ist zu bedauern, daß sich dieser Mann nicht die Mühe genommen, die Begebenheiten seiner Reisen noch etwas genauer und umständlicher zu beschreiben; denn manches, das ihm vielleicht nicht wichtig erschienen ist, würde seine Nachkommen interessiert haben."

Wir können dem nur beipflichten und bedauern namentlich, daß Oettinger so wenig über Groß-Friedrichsburg sagt, und die Befestigungen sowie das Leben dort nicht genauer beschreibt. Der Erzähler konnte freilich nicht ahnen, daß fast 200 Jahre später die unter deutscher Flagge segelnden Kriegsschiffe bei dem Kap der drei Spitzen Anker werfen würden, um Nachforschungen in den Ruinen der versunkenen Feste anstellen zu lassen. Er konnte nicht ahnen, daß mit jenem, von den Franzosen in Brand gestecktes Schiff die Hoffnungen versanken, welche die kühne und unternehmende Politik des großen Kurfürsten auf Brandenburgs Seemacht gesetzt hatte.

Mögen unsre Urenkel dereinst nicht nur auf Ruinen und auf die Bruchstücke einer dürftigen Überlieferung angewiesen sein, wenn sie Beweise für Deutschlands Ansehen zur See suchen, mögen sie vielmehr eine Geschichte ruhmvoller Tatsachen vorfinden und die Früchte wirklicher Erfolge ernten!

Quelle: Schorers Familienblatt, Verlag Schorer, Berlin, 1885, von rado jadu 2001



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