Freitag, 7. Januar 2011

Vertreibung und Pommern


Die Provinz Pommern war im Gefolge des Zweiten Weltkrieges – beginnend mit der Besetzung durch die Rote Armee ab Ende Januar 1945 – wie andere Reichsprovinzen (Ostpreußen, Schlesien, Ost-Brandenburg und ein Zipfel Sachsens) sowie weiteren deutschen Siedlungsgebien außerhalb der Reichsgrenzen von 1937 (Sudendeutsche, Westpreußen, Banater Schwaben, Siebenbürgendeutsche u.a.) von der Vertreibung ihrer ansässigen deutschen Bevölkerung betroffen, d.h. von der gewaltsamen und unter Druck betriebenen dauerhaften Verbringung der Bevölkerung von ihren angestammten Heimatorten. 

Dies betrifft auch die Bevölkerungsteile, die vor Herannahen der Front in Richtung Westen geflüchtet sind, denn ihnen wurde nach Beendigung der Kampfhandlungen die Rückker verwehrt oder aber man schickte sie zurück, um sie von dort erneut zu vertreiben

Die Vertreibung war mit zahlreichen flankierenden Zwangsmaßnahmen verbunden, zunächst durch ungeheuere Brutalität der Roten Armee gegenüber der Zivilbevölkerung (Morde, Brandschatzung, Vergewaltigungen), später durch Drangsalierungen von der neu angesiedelten polnischen Bevölkerung und Verwaltung. Da Pommern zu vier Fünfteln unter polnische Verwaltung gestellt wurde, wurde dieses Gebiet entgegen dem Wortlaut des Potsdamer Abkommens (siehe unten) als zum polnischen Staat zugehörig betrachtet und die Bevölkerung (etwa 50 bis 60 Prozent der ursprünglichen Provinzbevölkerung) ohne jegliche völkerrechtliche Grundlage vertrieben. 

In Pommern läßt sich die Bevölkerungszahl des Vertreibungsgebietes im Gegensatz zum Gesamtkomplex der Vertreibung (Schätzungen zwischen 12 und 15 Millionen Deutsche) ziemlich genau ermitteln: Es sind etwa 1,89 Millionen, dem stehen verbliebene ca. 0,5 Millionen Einwohner in Vorpommern gegenüber. 

Man wird davon ausgehen müssen, daß etwa ein Fünftel der Vertriebenen die Flucht und Vertreibung bzw. die damit zusammenhängenden Umstände nicht überlebt hat, die Überlebenden waren schwer traumatisiert. Die häufigsten Todesursachen waren Gewalteinwirkung (Beschuss von Trecks, willkürliches Erschießen nach Einmarsch, Tod durch Deportation nach Rußland, Hunger, Infektionskrankheiten, vor allem Typhus, Ruhr und Diphtherie usw.) Die Vertreibung der Bevölkerung aus Pommern (in oben umrissenem Umfang) ist in der pommerschen Geschichte beispiellos. Selbst der Dreißigjährige Krieg, der mit einer Teilung Pommerns unter zwei Mächte (Schweden und Preußen) endete, ging nicht mit einer Vertreibung der ansässigen Bevölkerung einher, auch erfolgte nicht etwa eine Zusiedlung aus Schweden.

 
Die Vertreibung ist ein Verbrechen und wie andere Verbrechen ist die Vertreibung auch eine Nachahmungstat. Sie beinhaltet auch das Rachemoment, aber ihr liegen dennoch Ideen und Programme zugrunde, die nichts mit Rache – oft als „verständliche“ Folgereaktion hingestellt – zu tun haben. Diese Ideen zielen auf ethnisch reine Gebiete, für deren Durchsetzung letztlich nur ein gewonnener Krieg geeignet ist. Die Ideen sind nicht etwa eine reflexartige Reaktion auf ein im Krieg erlittenes Unrecht, sondern sie gehen einem Krieg weit voraus, sie sind geeignet, das mentale Vorfeld eines Krieges, speziell aber das Vorfeld für die physische Vertreibung zu schaffen. Ohne diese ideologische und mentale Vorbereitung ist eine Vertreibung auch im Gefolge eines gewonnenen Krieges gar nicht zu realisieren. 

Die Brutalität der deutschen Organe (Vertreibung von Polen aus dem Wartheland, planvolle Dezimierung der polnischen Intelligenz) wirkte sich sicher als Brandbeschleuniger für eine Lunte aus, die schon lange gelegt war. Ein Krieg an sich führt nicht zwangsläufig in die Vertreibung. 

Es hat in Europa zahlreiche, brutale Kriege gegeben, an deren Ende auch Gebietsveränderungen standen, jedoch ohne die Vertreibung der von diesen Gebietsveränderungen betroffenen Bevölkerungen. Anders sieht dies bei den nach Ende des Zweiten Weltkrieges unter polnische Verwaltung gestellten deutschen Ostprovinzen aus. Frühere bzw. vorausgehende Gebietsansprüche sind also eine Voraussetzung für eine spätere Besitzergreifung. Nach erfolgter Besitzergreifung stellt sich dann sofort die Frage, was man mit der ansässigen Bevölkerung macht – integrieren oder vertreiben – nach 1919 wurde von Polen beide Wege gleichzeitig gewählt. Gebietsansprüche auf die deutschen bzw. preußischen Ostprovinzen im Falle des Wiedererstehens eines polnischen Staates gab es bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dabei schaukelten sich die Ansprüche im Laufe der Zeit immer höher, zwar nicht sofort die gesamte Gesellschaft erfassend, aber sie waren virulent vorhanden und bei entsprechender Situation sofort abrufbar.



Keine Kommentare: